Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Walter Morel oder Oliver Mellors sprachen. E. M. Forster gefiel mir da schon besser – diese ernsten, wohlmeinenden Schlegel-Schwestern, der freigeistige Mr Emerson, die ungestüme Lilia Herriton. Gelegentlich überkam mich das Bedürfnis, eine besonders ergreifende Passage laut vorzulesen, und dann kehrte Soja ihrer Arbeit den Rücken, dem Braten, den sie gerade schmorte, oder den Schweinekoteletts, die sie briet, strich sich erschöpft mit dem Handrücken über die Stirn und sagte Ja, Georgi? Was möchtest du mir erzählen? , so als hätte sie zwischenzeitlich völlig vergessen, dass ich mich im gleichen Raum aufhielt wie sie. Es scheint verkehrt, dass ich mich nicht mehr um den Haushalt kümmerte, aber so war das in jener Zeit nun einmal. Trotzdem bedauere ich es heute.
Ich hatte mir nicht immer vorgestellt, dass mein Leben in so konservativen Bahnen verlaufen würde. Es gab sogar Momente, flüchtige Augenblicke in über sechzig gemeinsam verbrachten Jahren, wo ich es hasste, dass wir nicht aus dem Schatten unserer Eltern heraustreten und unseren eigenen, individuell geprägten Lebensstil verfolgen konnten. Doch Soja trachtete danach, einen Haushalt zu führen, der sich nicht im Geringsten von dem unserer Nachbarn und Freunde unterschied – ein Wunsch, der womöglich auf ihre eigene Kindheit und ihre Erziehung zurückzuführen war.
Sie wollte ihren Frieden haben, verstehen Sie?
Sie wollte sich einfügen.
»Können wir nicht einfach in Ruhe leben?«, fragte sie mich einmal. »Ruhig und zufrieden? So wie alle anderen auch? Dann wird keiner jemals von uns Notiz nehmen.«
Wir ließen uns in Holborn nieder, nicht weit entfernt von der Doughty Street, wo der Schriftsteller Charles Dickens eine Zeit lang gewohnt hatte. Ich kam zweimal täglich an seinem Haus vorbei, auf meinem Hinweg zum British Museum und dann noch einmal auf dem Rückweg, und als ich mit seinen Romanen vertrauter wurde, da versuchte ich mir vorzustellen, wie er in seinem Arbeitszimmer im oberen Stockwerk saß und die eigentümlichen Sätze von Oliver Twist zu Papier brachte. Eine ältere Nachbarin erzählte mir einmal, ihre Mutter habe zwei Jahre lang täglich bei Mr Dickens sauber gemacht und von ihm ein Exemplar jenes Romans geschenkt bekommen, mit einer persönlichen Widmung – ein wertvolles Erinnerungsstück, das sie in ihrem Wohnzimmer auf einem Regalbrett aufbewahrte.
»Ein extrem reinlicher Mann«, erzählte sie mir, wobei sie die Lippen schürzte und zustimmend nickte. »Das pflegte meine Mutter immer über ihn zu sagen. Penibel, bei allem, was er machte.«
Mein Tag begann immer nach dem gleichen Schema. Um halb sieben klingelte der Wecker, und nachdem ich mich gewaschen und angekleidet hatte, nahm ich um sieben Uhr am Küchentisch Platz, wo mich bereits das von Soja zubereitete Frühstück erwartete: Tee und Toast sowie zwei perfekt pochierte Eier. Sie hatte eine erstaunliche Technik, was die Zubereitung der Eier betraf, bei der diese auch ohne Schale ihre ovale Form behielten, ein Kunststück, das sie auf einen Wirbelwindeffekt zurückführte, den sie mit einem Quirl in dem kochenden Wasser erzeugte, bevor sie Eiweiß und Eigelb hineinplumpsen ließ. Während ich aß, wechselten wir kaum ein Wort, doch sie saß neben mir am Tisch, um mir gegebenenfalls Tee nachzuschenken. Und sobald ich das Frühstück beendet hatte, schnappte sie sich meinen Teller, um ihn unter dem Wasserhahn abzuspülen.
Ich zog es vor, zu Fuß zum Museum zu gehen, bei Wind und Wetter, denn ich wollte körperlich fit bleiben. Als junger Mann war ich stolz auf meinen athletischen Körper gewesen, und ich gab mir große Mühe, in Form zu bleiben, selbst als ich das mittlere Lebensalter erreichte und von meinem Spiegelbild weniger angetan war. Ich ging mit einer Aktentasche zur Arbeit, und Soja legte mir dort jeden Morgen zwei Sandwiches und ein Stück Obst hinein, direkt neben den Roman, den ich gerade las. Sie kümmerte sich vorbildlich um mich, doch die tagtägliche, wie selbstverständlich wirkende Wiederholung dieser Dinge führte dazu, dass ich nur selten daran dachte, ihrer Liebenswürdigkeit Achtung zu zollen oder mich bei ihr zu bedanken.
Dies lässt mich womöglich wie einen altmodischen Menschen erscheinen, wie einen Haustyrannen, der unmögliche Ansprüche an seine Frau stellt.
Doch nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein.
Als wir im Herbst 1919 in Paris heirateten, da war es für mich schlechterdings unvorstellbar, dass Soja sich mir
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