Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
aber plötzlich den Wunsch, sie los zu sein und wieder in die unwirkliche Welt des Palastes zurückzukehren, statt hier draußen herumzusitzen und Gespräche mit der Vergangenheit zu führen. Ich hasste mich für meinen Egoismus, konnte ihn aber auch nicht überwinden.
    »Also dann in einer Woche«, sagte ich und erhob mich. »Heute in einer Woche, um die gleiche Zeit. Dann kann ich dir mehr sagen. Ich wünschte, ich könnte noch etwas länger bleiben, aber die Pflicht …«
    »Natürlich«, sagte sie mit einem traurigen Gesichtsausdruck. »Vielleicht hast du ja später noch ein bisschen Zeit? Irgendwann am Abend? Ich könnte noch einmal hierherkommen und …«
    »Nein, das ist unmöglich«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Nächste Woche. Ich verspreche es dir. Wir sehen uns nächste Woche wieder.«
    Sie nickte und umarmte mich. »Vielen Dank, Georgi«, sagte sie. »Ich wusste, du lässt mich nicht im Stich. Entweder ich bekomme hier diese Stelle, oder ich kehre wieder nach Hause zurück. Mehr bleibt mir nicht. Du wirst alles versuchen, nicht wahr?«
    »Ja, ja«, erwiderte ich unwirsch. »Aber jetzt muss ich gehen. Also bis nächste Woche, Schwesterherz.«
    Und damit eilte ich auf den Platz zurück und in Richtung des Palastes, wobei ich sie dafür verfluchte, dass sie gekommen war und die Vergangenheit an einen Ort brachte, wo sie nicht hingehörte. Als ich mein Zimmer erreichte, war ich wieder etwas milder gestimmt und nahm mir vor, am nächsten Vormittag alles Menschenmögliche zu versuchen, um ihr zu helfen. Doch als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, hatte ich Asja augenblicklich vergessen, und meine Gedanken waren einmal mehr bei dem einzigen Mädchen, das mir wirklich etwas bedeutete.
    Der Zar hatte viele Residenzen, doch von den drei bedeutendsten, dem Winterpalais in St. Petersburg, dem oben auf einem Felsen gelegenen Anwesen in Livadia und dem Alexanderpalais in Zarskoje Selo, gefiel mir die letztgenannte am besten. Zarskoje Selo, das »Kaiserdorf«, lag etwa fünfundzwanzig Kilometer südlich der Hauptstadt, und die Zarenfamilie und ihr Hofstaat fuhren regelmäßig mit dem Zug dorthin – natürlich in einem gemächlichen Tempo, damit es nicht zu plötzlichen Stößen oder Erschütterungen kam, die beim Zarewitsch lebensgefährliche Blutungen auslösen könnten.
    Im Unterschied zu St. Petersburg, wo ich in einer engen Kammer an einem langen Flur untergebracht war, an dem auch noch andere Mitglieder der kaiserlichen Garde ihr Logis hatten, bewohnte ich in Zarskoje Selo ein winziges Quartier nahe dem Zimmer des Zarewitsch, welches wiederum von einem großen Kiot dominiert wurde, auf dem seine Mutter außergewöhnlich viele Ikonen platziert hatte.
    »Ach du lieber Himmel!«, sagte Sergei Stasjewitsch, als er eines Abends den Kopf durch meine Tür steckte. »Hier haben sie dich also einquartiert, Georgi Daniilowitsch.«
    »Ja, fürs Erste«, sagte ich, ein wenig verlegen, weil er mich auf dem Bett liegend vorgefunden hatte, im Halbschlaf, während die anderen Mitglieder des Haushalts irgendeiner Arbeit nachgingen. Sergei selber war rotbackig und strotzte vor Energie, und als ich ihn fragte, wo er den Abend verbracht hatte, schüttelte er den Kopf und wandte sich ab, um eingehend Wände und Decken zu mustern, als gäbe es dort Dinge von ungeheurer Wichtigkeit zu sehen.
    »Nirgendwo«, erwiderte er zögernd. »Ich habe einen Spaziergang gemacht, das ist alles. Bis hinunter zum Katharinenpalast.«
    »Wieso hast du mir das nicht gesagt?«, fragte ich ihn, darüber enttäuscht, dass er mich nicht eingeladen hatte, ihn zu begleiten, denn wenn ich am Zarenhof so etwas wie einen Freund hatte, dann war er es, und es gab Momente, wo ich dachte, ich könnte mich ihm anvertrauen. »Dann hätte ich mich dir angeschlossen. Bist du allein gegangen?«
    »Ja … äh, nein«, korrigierte er sich. »Ich meine, ja, ich war allein. Aber was geht dich das überhaupt an?«
    »Es geht mich gar nichts an«, sagte ich, verdutzt über seine heftige Reaktion. »Ich habe mich bloß gefragt …«
    »Du kannst von Glück sagen, dass sie dir dieses Zimmer hier gegeben haben«, wechselte er das Thema.
    »Willst du mich auf den Arm nehmen? Das muss früher eine Besenkammer gewesen sein, dieses Kabuff.«
    »Kabuff?«, fragte er und lachte laut auf. »Du hast keinen Grund, dich zu beklagen. Wir sind mit zwanzig Mann in einem der großen Schlafsäle im zweiten Stock zusammengepfercht. Ich sage dir, du kannst kein Auge zumachen, wenn die

Weitere Kostenlose Bücher