Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
»Erst seit ein paar Tagen.«
»Schon ein paar Tage?«, sagte ich überrascht. »Und da kommst du erst jetzt zu mir?«
»Ich wusste nicht, wie ich an dich herantreten sollte, Georgi«, erklärte sie. »Immer wenn ich dich gesehen habe, warst du in Gesellschaft anderer Soldaten, und ich habe mich nicht getraut, dich zu stören. Aber ich wusste, früher oder später würde ich dich allein antreffen.«
Ich nickte und erinnerte mich wieder daran, dass ich mich beobachtet gefühlt hatte und wie unangenehm mir das gewesen war.
»Aha«, sagte ich. »Na ja, jetzt hast du mich gefunden.«
»Ja, endlich«, sagte sie und setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Wie gut du aussiehst! Und du scheinst auch gutes Essen zu bekommen.«
»Aber ich trainiere auch fleißig«, sagte ich schnell, ein wenig beleidigt. »Ich arbeite hier rund um die Uhr.«
»Du siehst gesund aus, mehr wollte ich nicht sagen. Das Leben im Palast scheint dir zu bekommen.«
Ich zuckte die Achseln und blickte hinaus auf den Palaisplatz und die Alexandersäule, die zu meinen allerersten Eindrücken von dieser neuen Welt gezählt hatten, und ich dachte, wie dünn und blass meine Schwester doch aussah.
»Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen«, sagte sie, als sie meinem Blick folgte.
»Wen? Den Palast?«
»Ja, er ist unglaublich schön, Georgi. So etwas habe ich noch nie im Leben gesehen.«
Ich nickte, versuchte aber, unbeeindruckt zu wirken. Ich wollte ihr das Gefühl geben, dass dies ein Ort war, wo ich hingehörte, dass es meine Bestimmung gewesen war, eines Tages in diesem Palast zu landen.
»Es ist ein Zuhause wie jedes andere auch«, sagte ich.
»Nein, ist es nicht!«, schrie sie.
»Ich meine, von innen aus gesehen, also wenn du mit der Familie zusammen bist – sie betrachten es als ihr Zuhause. Man gewöhnt sich schnell an so einen Reichtum«, log ich.
»Und hast du sie schon kennengelernt?«, fragte sie.
»Wen?«
»Ihre kaiserlichen Majestäten.«
Ich platzte fast vor Lachen. »Aber Asja«, erklärte ich, »ich sehe sie jeden Tag. Ich bin doch der ständige Begleiter des Zarewitsch Alexei. Hast du vergessen, dass man mich deswegen hierhergebracht hat?«
Sie nickte, und sie schien um Worte zu ringen. »Es ist bloß … also, ich hätte nie gedacht, dass das wirklich ernst gemeint war.«
»War es aber«, sagte ich gereizt. »Aber wie dem auch sei, warum bist du eigentlich hier?«
»Georgi?«
»Entschuldige bitte«, sagte ich, denn ich bedauerte meinen Tonfall sofort. Es setzte mich in Erstaunen, wie sehr ich mir wünschte, dass sie wegging. Dabei wusste ich, dass sie nicht gekommen war, um mich nach Hause zu holen. Aber sie verkörperte einen Abschnitt meines Lebens, mit dem ich ein für alle Mal abgeschlossen hatte, eine Zeit, die ich nicht nur hinter mir wissen, sondern völlig vergessen wollte. »Ich meine, welche glückliche Fügung hat dich ebenfalls hierhergeführt?«
»Keine«, erwiderte sie. »Ich habe es ohne dich in Kaschin nicht mehr ausgehalten. Es war unerträglich. Also habe ich mich einfach auf den Weg gemacht, und jetzt bin ich hier. Ich dachte … ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen.«
»Selbstverständlich«, sagte ich nervös. »Aber wie? Was könnte ich für dich tun?«
»Nun, ich dachte, vielleicht … also, die brauchen im Palast doch sicherlich Dienstmädchen. Vielleicht gibt es ja eine Stelle für mich. Wenn du deswegen mit jemandem sprechen könntest?«
»Ja, ja«, sagte ich stirnrunzelnd. »Ja, ich denke schon, dass es dort freie Stellen gibt. Ich könnte mich einmal danach erkundigen.« Ich dachte darüber nach und fragte mich, an wen ich mich in dieser Angelegenheit wenden müsste. Ich stellte mir meine Schwester in einer Dienstmädchenuniform vor oder in der schlichteren Arbeitskluft einer Küchenhilfe, und einen Augenblick lang hielt ich das Ganze für eine hervorragende Idee. Asja könnte hier ebenso Karriere machen wie ich. Und ich würde in ihr eine Freundin haben, eine Vertraute – also keinen Freund wie Sergei Stasjewitsch, dessen Respekt ich mir wünschte, aber auch keine Freundin wie Anastasia, nach deren Liebe ich mich sehnte. »Sag mal, wo wohnst du überhaupt?«
»Ich habe mir ein Zimmer genommen«, sagte sie. »Sehr bescheiden, aber trotzdem werde ich es mir nicht lange leisten können. Glaubst du, dass du für mich ein gutes Wort einlegen könntest, Georgi? Wir könnten uns dann wiedertreffen. Hier oder woanders.«
Ich nickte, verspürte
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