Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
anderen alle husten und furzen und im Schlaf laut nach ihren Schätzchen rufen.«
Ich lächelte ihn an und zuckte bedauernd die Achseln, war aber heilfroh, dass ich sein Schicksal nicht teilen musste. In diesem Zimmer war kaum genug Platz für meine Pritsche und den kleinen Tisch, auf dem mein Waschgeschirr stand. Aber da Alexei und ich zueinandergefunden hatten und er mich in seiner Nähe haben wollte, hatte der Zar verfügt, dass seinem Wunsch entsprochen wurde.
Die Zarin schien von diesem Arrangement weniger begeistert zu sein. Seit dem Tag, an dem Alexei in Mogilew vom Baum gefallen war und sich verletzt hatte, war die Kaiserin nicht gut auf mich zu sprechen. In den Fluren lief sie wortlos an mir vorüber, selbst wenn ich mich tief und voller Demut vor ihr verbeugte. Betrat sie einen Raum, in dem sich ihr Sohn und meine Wenigkeit aufhielten, so ignorierte sie mich völlig und widmete sich ausschließlich ihrem Sohn. Das war an sich nichts Ungewöhnliches – war jemand kein Blutsverwandter oder gehörte er nicht einer erlauchten Familie an, so behandelte sie ihn in der Regel wie Luft –, doch die Art und Weise, in der sie die Lippen schürzte, wenn ich in ihrer Nähe weilte, ließ mich erkennen, wie sehr sie mich verabscheute. Sie hätte es wohl am liebsten gesehen, wenn man mich aus dem Dienst der kaiserlichen Familie entließ und wieder nach Kaschin schickte oder vielleicht sogar in die Verbannung nach Sibirien, doch der Zar hielt mir nach wie vor die Stange, und so blieb ich auf meinem Posten. Hätte er nicht dieses Vertrauen in mich gesetzt, so wäre mein Leben völlig anders verlaufen.
Drei Nächte später sollte mir wieder jemand seine Aufwartung machen, doch diesmal war mir mein Besucher nicht so willkommen wie Sergei Stasjewitsch. Ich war schon fast eingeschlafen, als es an meiner Tür klopfte, so leise, dass ich es zunächst gar nicht wahrnahm. Als es dann erneut klopfte, runzelte ich die Stirn und fragte mich, wer wohl zu dieser späten Stunde noch etwas von mir wollte. Alexei konnte es nicht sein, denn der klopfte nie an, bevor er mein Zimmer betrat. Vielleicht … es verschlug mir fast den Atem, als ich daran dachte, es könnte Anastasia sein. Ich setzte mich auf, schluckte nervös und ging zur Tür. Ich öffnete sie nur einen Spalt weit und starrte hinaus auf den dunklen Flur.
Ich dachte, meine Ohren hätten mir einen Streich gespielt, denn es war niemand zu sehen. Doch gerade als ich die Tür wieder schließen wollte, löste sich aus dem Schatten ein Mann, dessen langen dunklen Haare und schwarze Robe so mit der Finsternis des Flures verschmolzen, dass für einen Moment nur das Weiße in seinen Augen sichtbar war.
»Guten Abend, Georgi Daniilowitsch«, sagte er mit einer klaren Stimme, und als er den Mund zu einer Art Lächeln öffnete, kam ein gelbes Gebiss zum Vorschein.
»Vater Grigori«, erwiderte ich, denn obgleich ich bis dahin noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte, war er mir im Palast bei den Gemächern der Zarin schon oft über den Weg gelaufen. Zum ersten Mal hatte ich ihn natürlich an meinem allerersten Abend im Winterpalais gesehen, als er der Kaiserin am Betpult seinen Segen erteilt und dabei zu mir herübergeschaut und mitbekommen hatte, wie mir angesichts seines Blicks der Schreck in die Glieder gefahren war.
»Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, sagte er.
»Ich war schon im Bett«, erwiderte ich, mir mit einem Mal bewusst werdend, dass ich lediglich das weite Unterhemd und die Unterhose trug, die mir als Nachtwäsche dienten. »Kann das nicht bis morgen warten?«
»Wohl kaum«, sagte er und feixte, als wäre dies ein vortrefflicher Witz gewesen. Zielstrebig stiefelte er ins Zimmer und ließ mir gar keine andere Wahl, als beiseitezutreten. Er blieb mit dem Rücken zu mir stehen und starrte, ohne sich zu rühren, auf mein Bett hinab. Dann richtete er seinen Blick auf das schmale Fenster zum Hof und stand wieder, als wäre er zu Stein erstarrt. Erst als ich die Tür hinter uns geschlossen und eine Kerze angezündet hatte, drehte er sich zu mir um. Das flackernde Licht war so schwach, dass ich ihn kaum besser sehen konnte als zuvor.
»Was führt Euch zu mir?«, fragte ich, fest entschlossen, mich nicht einschüchtern zu lassen, obgleich ich seine Erscheinung mehr als bedrohlich fand. »Bringt Ihr eine Botschaft vom Zarewitsch?«
»Nein, und wenn es eine gäbe, glaubst du etwa, ich würde sie dir bringen?«, fragte er, wobei er mich langsam von Kopf bis Fuß
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