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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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musterte. Da ich mich in meiner Unterwäsche immer unwohler fühlte, schnappte ich mir meine Hose und zog sie an, wobei er mich weiterhin unverwandt anstarrte. »Wir haben so viel gemeinsam, du und ich, und trotzdem reden wir nie miteinander. Das ist jammerschade, findest du nicht? Wo wir doch so gute Freunde sein könnten.«
    »Ich wüsste nicht, warum«, erwiderte ich. »Ich bin nämlich nie ein gläubiger Mensch gewesen, Vater Grigori.«
    »Aber der Glaube steckt in jedem von uns.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher.«
    »Warum?«
    »Ich bin nie zur Schule gegangen«, erklärte ich. »Wir mussten hart arbeiten, meine Schwestern und ich. Wir hatten keine Zeit, Ikonen anzubeten oder irgendwelche Gebete zu sprechen.«
    »Und trotzdem nennst du mich Vater Grigori«, sagte er nachdenklich. »Du respektierst meine Stellung.«
    »Selbstverständlich.«
    »Du weißt, wie die anderen mich nennen, oder?«
    »Ja«, erwiderte ich augenblicklich, darum bemüht, keinerlei Gefühlsregung zu zeigen, weder Angst noch Verehrung. »Sie nennen Euch einen Starez.«
    »Ja, das tun sie«, erwiderte er, wobei er nickte und kurz lächelte. »Das ist ein angesehener Lehrer, ein Mann, der ein durch und durch ehrbares Leben führt. Findest du diese Bezeichnung angemessen, Georgi Daniilowitsch?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich, nervös schluckend. »Ich kenne Euch nicht.«
    »Würdest du mich denn kennenlernen wollen?«
    Darauf wusste ich keine Antwort und verharrte einfach, wo ich war, unfähig, mich zu bewegen, obwohl ich am liebsten vor ihm davongelaufen wäre. Doch meine Füße waren wie am Boden festgenagelt.
    »Die Leute haben noch einen anderen Namen für mich«, sagte er, nachdem wir uns eine Weile angeschwiegen hatten, und diesmal war seine Stimme leise und tief. »Den hast du auch schon gehört, nehme ich an.«
    »Rasputin«, sagte ich, wobei mir das Wort beinahe im Hals stecken blieb, als ich es aussprach.
    »Richtig. Und du weißt, was dieser Name bedeutet?«
    »Er bedeutet ›Mann ohne Tugend‹«, erwiderte ich, krampfhaft darum bemüht, mit fester Stimme zu sprechen, denn als er mich nun mit seinen dunklen, stechenden Augen fixierte, rutschte mir das Herz in die Hose. »Ein Mann, der sich mit vielen vertraut macht.«
    »Wie höflich du bist, Georgi Daniilowitsch«, sagte er und lächelte wieder kurz. » Macht sich mit vielen vertraut . Eine sehr eigenartige Formulierung. Damit wollen die Leute sagen, dass ich mit jeder Frau etwas anfange, die mir über den Weg läuft.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Meine Feinde behaupten, ich hätte bereits halb St. Petersburg geschändet, nicht wahr?«
    »Ja, das habe ich gehört.«
    »Und nicht bloß die Frauen, sondern auch blutjunge Mädchen. Und Knaben. Sie sagen, ich stille meine Wollust, wo immer es geht.« Ich schluckte nervös und schaute beiseite. »Es gibt sogar welche, die nicht einmal vor der Behauptung zurückschrecken, ich hätte die Zarin in mein Bett gezerrt – und dass ich die vier Großfürstinnen der Reihe nach bestiegen habe wie ein brünstiger Bulle. Was sagst du dazu, Georgi Daniilowitsch?«
    Nun schaute ich ihn wieder an, die Lippen vor Abscheu zusammengepresst. Ich verspürte das Bedürfnis, ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, ihn aus meinem Zimmer zu werfen, doch sein finsterer Blick hielt mich in seinem Bann und jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich dachte kurz daran, zur Tür zu rennen, diese aufzureißen und in den Flur hinauszustürmen, so verzweifelt wollte ich diesem Mann entkommen. Und dennoch verharrte ich noch immer. Sosehr seine Worte mich auch erzürnen mochten, ich war bestrickt, und meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Eine Minute oder auch länger herrschte Schweigen zwischen uns. Er schien mein Unbehagen zu genießen, denn er lächelte in sich hinein, lachte leise auf und schüttelte dann den Kopf.
    »Meine Feinde sind natürlich allesamt Lügner«, sagte er schließlich, wobei er die Arme ausbreitete, als wollte er mich umarmen. »Eine Bande von Märchenerzählern. Von Heiden. Ich bin ein Gottesmann, nichts weiter, doch sie stellen mich als einen hemmungslosen Lüstling dar. Und Heuchler sind sie obendrein, denn wie du selbst gesagt hast, bin ich für sie einmal ein ehrbarer Mann und dann wieder ein Mann ohne Tugend. Man kann aber nicht gleichzeitig ein Starez und ein Rasputin sein, meinst du nicht auch? Aber diese Leute können mir nichts anhaben. Weißt du auch, warum?«
    Ich schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
    »Weil

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