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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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angenehmen Abend verbracht hatten, zuckte sie die Achseln, als könnte sie sich kaum noch an irgendwelche Einzelheiten erinnern, und meinte, ja, es sei ganz nett gewesen, aber nichts Besonderes. Und sie wisse nicht, warum sie sich überhaupt noch dazu aufraffe.
    »Und, gefällt es ihm in London?«
    »Wem?«
    »Na, Henry natürlich.«
    »Ja, ich glaube schon. Er redet nicht viel darüber.«
    »Über was redet ihr dann?«
    »Also, ich weiß es nicht, Georgi«, sagte sie zögernd, als wäre sie bei ihren Gesprächen mit Henry nicht ganz präsent. »In erster Linie über die Arbeit. Über unsere Studenten. Über nichts Interessantes.«
    »Wenn es nicht interessant ist, wieso verbringst du dann so viel Zeit mit ihm?«
    »Was redest du da?«, fragte sie, mit einer unerwartet wütenden Stimme. »Ich verbringe so gut wie gar keine Zeit mit ihm!«
    Das Ganze kam mir immer bizarrer vor, und obwohl es hinten in meinem Kopf eine winzig kleine Stimme gab, die mir sagte, es müsse mehr hinter dieser Sache stecken, als meine Frau mir erzählte, entschied ich mich dafür, diese Stimme zu ignorieren. Die Vorstellung schien mir völlig abwegig. Schließlich war Soja in den Fünfzigern. Wir hatten über die Hälfte unseres Lebens gemeinsam verbracht. Wir liebten einander über alle Maßen. Wir beide hatten mehr durchgemacht als die meisten anderen Menschen. Wir hatten gemeinsam gelitten und verloren, und wir hatten gemeinsam überlebt. In guten wie in schlechten Zeiten waren wir immer zusammen gewesen – GeorgiundSoja.
    Und dann war das Jahr um, und Henry kehrte nach Amerika zurück.
    Zunächst wirkte Soja ein wenig hysterisch. Sie kam von der Arbeit nach Hause und redete den ganzen Abend wie ein Wasserfall, so als habe sie Angst davor, auch nur einen Moment lang still zu sein, weil ihr dann womöglich all das in den Sinn käme, was sie verloren hatte, und sie völlig zusammenbrechen würde. Sie kochte aufwendige Gerichte und bestand darauf, dass wir Wochenendausflüge zu den unmöglichsten Orten machten – zum Zoologischen Garten, zur National Portrait Gallery, zum Schloss Windsor –, wo wir uns wie ein junges Liebespaar aufführten, das gerade dabei war, sich kennenzulernen, und nicht wie zwei alte Eheleute, die ihr gesamtes Erwachsenenleben miteinander verbracht hatten. Es schien, als wollte sie mich wieder kennenlernen, als hätte sie mich unterwegs irgendwo aus den Augen verloren, wobei sie zwar ahnte, dass ich ihre Liebe verdiente, sie sich aber nicht daran erinnern konnte, warum sie dieses Gefühl einmal für mich entwickelt hatte.
    Die Hysterie wich einer Depression. Soja sprach von Tag zu Tag weniger mit mir, und wenn ich versuchte, mich mit ihr zu unterhalten, über unseren jeweiligen Arbeitstag oder was auch immer, so war es, als redete ich gegen eine Wand. Sie ging früh zu Bett, und mit mir schlafen wollte sie auch nicht mehr. Sie, die immer so großen Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild gelegt hatte – insbesondere, seitdem sie unerwarteterweise die Stelle an der Central School bekommen hatte und der Ansicht war, sie müsse den hohen, von den anderen Dozentinnen und Studentinnen gesetzten Modemaßstäben entsprechen –, begann nun, ihr Äußeres zu vernachlässigen. Es kümmerte sie nicht, ob sie in der Kleidung vom Vortag zum Unterricht erschien oder mit deutlich ungepflegterem Haar als früher.
    Als sie es mir schließlich nicht mehr verheimlichen konnte, nahm sie eines Abends neben mir Platz und sagte, sie müsse mir etwas erzählen.
    »Hat es was mit Henry zu tun?«, fragte ich, woraufhin sie mich verdutzt anschaute, denn er hatte England vor mehr als fünf Monaten verlassen, und seitdem war sein Name in unserer Wohnung kein einziges Mal erwähnt worden.
    »Ja«, sagte sie. »Woher weißt du das?«
    »Ich habe es geahnt«, erwiderte ich.
    Sie nickte, und dann erzählte sie mir alles. Und ich hörte ihr zu und wurde nicht wütend, sondern versuchte vielmehr, sie zu verstehen.
    Was nicht einfach war.
    Und einige Wochen später begannen dann ihre Albträume. Sie wachte mitten in der Nacht auf, in Schweiß gebadet, mit keuchendem Atem und vor Angst zitternd. Wenn ich daraufhin neben ihr aufwachte – denn wir schliefen nie getrennt, selbst in unseren schlimmsten Nächten nicht – und die Hand nach ihr ausstreckte, zuckte sie vor Schreck zusammen, da sie mich zunächst nicht erkannte. Ihre Angst legte sich erst, nachdem ich das Licht angeknipst und sie in die Arme genommen hatte. Ich hielt sie ganz fest, während

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