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Das Haus

Das Haus

Titel: Das Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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nicht merken zu lassen, wie er mich hinter seiner Wetterauer Zeitung beobachtete. Es war,als schaute er durch die Wetterauer Zeitung hindurch auf mich, und ebenso konnte ich durch die Wetterauer Zeitung hindurchschauen auf ihn, das immerhin hatte ich im Lauf meiner ersten Schuljahre gelernt. Natürlich wußte ich auch, daß sie mit den beiden anderen Geschwistern wesentlich zufriedener waren als mit mir. Selbst meine Schwester, die in der Schule inzwischen große Probleme hatte, hatte wenigstens Leben in sich und zeigte Reaktionen, auch wenn es anstrengend war, daß sie herumschrie, aber das war immerhin etwas Greifbares, anders als meine Nichtreaktion auf alles. Am liebsten wäre er liegengeblieben, dachte mein Vater hinter seiner Zeitung. Ich dagegen dachte: Am liebsten wäre es ihm, wenn ich jetzt so dasäße wie er, dem Tag und allem und der ganzen Welt zugewandt mit hochgeschlossenem Kragen und zugeknöpften Hemdsärmeln und umgebundener Krawatte, und so wie er Toasts, Zwieback und Leberwurstbrote in mich hineinessend beim Frühstück angesichts des bevorstehenden Arbeitstages, um für ihn gerüstet zu sein Morgen für Morgen, Jahr für Jahr. Das dachte ich, denn ich konnte inzwischen auch durch die Wetterauer Zeitung hindurchdenken, ich hatte es am Vorbild meines Vaters gelernt. Und so diente das Frühstück dazu, mich schon gleich im ersten Gesellschaftsaugenblick des Tages auf das Bild zu verweisen, das sie von mir hatten. Schon wenn ich dieTreppenstufen ins Erdgeschoß hinabstieg, fühlte ich, wie sie gleich wieder über mich den Andreas darüberlegen würden, ihren Problemandreas .
    Der Problemandreas sah, kurz gesagt, folgendermaßen aus. Faul ist er nicht, dumm auch nicht. Aber er zieht sich immer so zurück. Die anderen sind schon längst in ihren Turn- oder Fußballvereinen, aber das will er alles nicht. Man weiß eigentlich gar nicht, was er will. Am liebsten sitzt er unten im Bastelraum und bastelt. Er ist nicht in den Kindergarten gegangen, das wollte er nicht, er hat sich völlig quergestellt, aber wenigstens hat er dadurch keine große Arbeit verursacht, denn wenn er etwas kann, dann sich mit sich selbst beschäftigen. Er sitzt stundenlang im Bastelraum und bastelt und kann darüber alles vergessen, und wenn man mal nach unten geht, zeigt er einem mit Freude, was er gerade eben gebastelt hat. Aber natürlich betrachten wir das auch mit großer Sorge, daß er immer allein im Keller sitzt und bastelt. Er meidet die anderen Mitschüler komplett. Er spielt mit keinem Kind auf der Straße. Alle Versuche, ihn mit den Nachbarskindern zusammenzubringen: gescheitert. Wenn die Cousins und Cousinen kommen, zu Festen etwa, versteckt er sich an den unmöglichsten Orten, um nicht mit ihnen in Kontakt kommen zu müssen. Wieso scheut er nur den Kontakt zu den anderen Kindern? Und was soll daraus werden? Er ist jetzt schon so lange in derSchule und hat noch nie einen Freund gehabt, hat noch nie mit irgendwem gespielt, will niemanden kennenlernen, will immer nur allein zu Hause oder mit seinem Fahrrad draußen sein, das ist alles sehr problematisch, nur weiß man keine Lösung. Und daß er in der Schule immer sehr gut ist, darüber kann man zwar dankbar sein, bei den Fehltagen, die er hat, aber normal ist das doch auch nicht, manchmal hat man ja das Gefühl, er müßte eigentlich überhaupt nicht in die Schule gehen und es würde reichen, wenn er nur zu den Arbeiten hinginge. Morgens kriegt man ihn manchmal gar nicht aus dem Bett, und wenn er es zum Frühstück schafft, sitzt er da, als würde er gleich umfallen. Man spricht ihn an, er reagiert nicht. Schaut einen bloß an mit großen Augen. Manchmal sitzt er morgens irgendwo im Dunkeln, einfach so. Wie überlastet. Aber von was? Die Ärzte sagen, es sei alles normal bei ihm, zumindest physisch. Sie sagen, man müsse Geduld haben, das renke sich wohl alles noch ein, irgendwie. Soll man sich Vorwürfe machen? Vielleicht war es doch schädlich für ihn, daß er am Anfang so oft bei seiner Urgroßmutter war? Er fing ja auch so spät zu sprechen an. Manchmal ist er uns so fremd. Kann er nicht seinen beiden Geschwistern ein bißchen ähnlicher sein? Der Bruder ist zwar auch still, ja, aber doch nicht so .
    Das in etwa ist der Problemandreas, wie er ihnen vorgekommen sein muß. Und weil sie die Hoffnungschon aufgegeben hatten, aber dennoch offiziell nicht aufgeben durften, versuchten sie ihren Problemandreas jeden Tag und jeden Morgen zu stärken und zu ermuntern und ihm

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