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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Martern leiden mußt?« Da redete der Vater offen mit seinem Sohn: »Weißt du wirklich nicht, warum ich diese Martern erleide? Zahllose Lebewesen habe ich getötet, um Weib und Kind zu ernähren; wenn ich einem acht Ryö Florettseide lieh, dann trieb ich mit Gewalt zehn Ryö ein, verlieh ich aber ein kleines Pfund Reis, dann verlangte ich ein großes zurück; ich habe die Leute beraubt und habe mit fremden Frauen Unzucht getrieben; ich habe die kindliche Liebe zu meinen Eltern vergessen und Vater und Mutter hungern lassen; ich hatte keine Achtung vor unserem Herrn und Meister; ich habe die Dienerschalt geschmäht und mißhandelt. Dieser Sünden wegen stecken in meinem kleinen Körper siebenunddreißig eiserne Nägel, und darum muß er täglich neunhundert Keulenhiebe ertragen.
    O, diese
    Schmerzen! O, diese Pein! Wann werde ich endlich meine Schuld abgebüßt haben? Wann werde ich meinen Leib wieder in Frieden betten können? Beeile dich, mein Sohn! Lasse Buddhastatuen machen, laß die Sutren abschreiben und bezahle auf diese Weise für meine Schuld! Nimm dir zu Herzen, was du gesehen hast und vergiß mich nicht! Am siebenten Tage des siebenten Monats habe ich mich in eine Schlange verwandelt. Ich kam hungrig vor dein Haus. Als ich zur Tür hineinwollte, hob man mich mit einem Stecken auf und warf mich hinaus. Daraufhin kam ich am fünften Tage des fünften Monats als roter Hund. Aber du hast deinen großen Hund auf mich gehetzt; er biß mich, und du triebst mich mit Schlägen weg. Ich mußte hungrig und sterbensmatt umkehren.
    Da kam ich am ersten Tag des ersten Monats als Katze in dein Haus. Du gabst mir von dem Reis und von dem Fleisch, das du den Totengeistern geopfert hattest. So wurde ich satt. Auf diese Weise fristete ich drei Jahre lang mein Leben. Alle meine Brüder, die älteren und die jüngeren, sind Hunde geworden, weil sie ihr Leben lang das Wichtigste vernachlässigt und Schuld auf sich geladen haben. Sie lecken jetzt den Saft auf, den sie selbst erzeugen. Und ich? Ich werde gewiß in einen roten Hund verwandelt!«
    Die Rede des Vaters erschütterte mich sehr und jagte mir Angst ein. Ich versuchte zu erfahren, wie gute Tat belohnt wird. Ich hörte: Wer ein Maß Reis spendet, der erhält dafür dreißig Tage Lohn, wer ein Gewand spendet aber ein Jahr. Wer Sutren lesen läßt, wohnt zur Belohnung im Goldpalast des Ostens. Er wird in dem Himmel wiedergeboren, um den er in seinen Gebeten bittet. Wer aber Buddhas und Bodhisattvas schafft, wird in dem unermeßlichen und reinen Land des Westens wiedergeboren; wer lebende Wesen freiläßt, in dem unermeßlichen reinen Land des Nordens. Wer sich nur einen Tag im Fasten übt, gewinnt dafür zehn Jahre. Als ich gesehen hatte, was jeder für einen Lohn empfängt, für das Gute und für das Böse, da fürchtete ich mich noch mehr und kehrte um und ging den gleichen Weg zurück. Am Tor vor dem großen Steg standen aber Männer, die den Weg sperrten. Sie sagten: »Wer in das Reich Tonan geht, kommt nicht zurück.« Da ging ich eine Weile auf und ab und überlegte, was ich nun tun sollte.
    Plötzlich erschien eine ganz kleine Gestalt. Als die Torwächter sie sahen, fielen sie auf die Knie und machten ihre Reverenz.
    Der Kleine aber rief mich zu sich, stieß ein Seitentor auf und sagte: »Geh unverzüglich hinaus!« Ich wollte aber wissen, mit wem ich es zu tun hatte, und fragte: »Wessen Sohn bist du?«
    Da antwortete die kleine Gestalt: »Willst du wirklich wissen, wer ich bin? Die du in jungen Jahren abschriebst, die Kwannon-Sutra, die bin ich.« So sagte der Kleine und war im selben Augenblick verschwunden. Und als ich mich umsah, lag ich hier und lebte wieder.

    Älter als der Himmel

    EIGENTLICH IST Laotse älter als Himmel und Erde. Er hat die Welt mitgeschaffen. Er hat sich zu allen Zeiten auf dieser Erde gezeigt. Aber er trug jedesmal einen anderen Namen. Alle aber kennen ihn als Laotse, das »alte Kind«, das den Namen Li führt, und das heißt einfach »Pflaume«. Zweiundsiebzig lange Jahre, ein ganzes Leben lang, trug ihn seine Mutter. Sie empfing ihn auf übernatürliche Weise. Er wurde aus ihrer linken Achselhöhle geboren und hatte schon damals weißes Haar. Darum nannte man ihn das alte Kind. Er konnte vom ersten Tag an sprechen, und weil er keinen menschlichen Vater hatte, mußte er ein lebendiges Wesen finden, das ihm den Namen gab. Er deutete auf den Pflaumenbaum, unter dem er zur Welt gekommen war und sagte: »Li – die Pflaume – soll mein Name

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