Das Hausbuch der Legenden
meinem Blut und bestreiche damit dein Auge, damit du sehend wirst an Leib und Seele!« Der König nahm diese Rede für Spott und ließ dem Heiligen das Haupt abschlagen. Trotzdem befolgte der Blinde am nächsten Tag den Rat des Märtyrers. Er sprach dazu die Worte: »Im Namen des Christophorus und des Gottes, an den er glaubt!« Alsbald sah er wieder. Nun ließ er sich taufen und gab das Gebot aus, alle mit dem Schwert zu richten, die wider den Gott der Christen oder gegen Christophorus aufständen.
Agathe verspottet die Götter
DIE STÄDTE Palermo und Catania in Sizilien streiten um die Ehre, der Geburtsort der heiligen Agathe zu sein. Zu ihrer Zeit regierte der römische Kaiser Decius, der die Christen grausam verfolgte, weil er hoffte, dadurch sein zerfallenes Reich zu retten. Quintianus war sein Statthalter in Sizilien, ein gemeiner und grausamer Lüstling. Er begehrte Agathe zur Frau, denn sie war schön und reich, die Tochter einer vornehmen Familie von Adel, zu dem der Emporkömmling Quintianus keinen Zugang hatte. Aber die Jungfrau lehnte seine Werbung ab. Der Statthalter glaubte, man könne das widerspenstige Mädchen verführen. Er übergab sie einer berüchtigten Kupplerin, die mit ihren neun Freudenmädchen versuchte, Agathe mit der Sünde auszusöhnen. Aber die Verführerinnen erreichten nichts; alle guten und bösen Reden, Drohungen und Liebkosungen prallten an der aufrechten Haltung des Mädchens ab, das Tag und Nacht betete und Gott bat, es der Märtyrerkrone zu würdigen.
Nach dreißig Tagen ging die Kupplerin zum Statthalter und bat ihn flehentlich, Agathe zu holen und sie von dieser Aufgabe zu entbinden. Es sei leichter, Marmor flüssig zu machen und Eisen wie Blei zu biegen, als den Trotz dieser Christin zu brechen.
Da ließ Quintianus die Jungfrau vorführen und schrie sie an:
»Wo kommst du her? Zu welcher Sippe gehörst du?« Agathe:
»Ich bin eine Freie. Ich stamme aus einem alten
Adelsgeschlecht. Aber warum fragst du, was du selbst weißt?«
Quintianus: »Frage nicht, was du nicht zu fragen hast! Wenn du eine Freie bist, warum spielst du dann die Rolle einer Magd?«
Agathe: »Christi Magd zu sein, würde auch den Töchtern von Königen und Kaisern wohl anstehen.«
Quintianus: »Keiner frei Geborenen steht es an, wie eine Magd zu dienen.«
Agathe: »Wer Christus dient, gewinnt erst die wahre Freiheit.
Er ist freier als die Könige dieser Erde, die ihren Götzen wie Sklaven dienen.«
Quintianus: »Du hast die Wahl: opfere den römischen
Göttern, wie es der Kaiser befiehlt, oder ich lasse dich foltern!« Agathe: »Ich opfere ihnen nicht. Aber ich wünsche dir und deinem Weib, daß es euch ergehen möge, wie euren Göttern Jupiter und Venus!«
Da schrie der Prokonsul sie an: »Du schmähst deinen Richter vor allem Volk!« Und er befahl seinen Schergen, sie ins Gesicht zu schlagen. Agathe lächelte und sprach: »Du nimmst also meinen Wunsch auf wie eine Schmähung? Was müssen das für Götter sein, die man mit keinem Sterblichen
vergleichen kann, ohne ihre Anbeter damit zu beleidigen!«
Quintianus: »Spar dir die unnützen Worte! Opfere oder leide!« Agathe: »Hetze deine Bestien auf mich; Christi Namen wird sie bändigen! Wirf mich ins Feuer; der Tau des Himmels wird die Flamme löschen! Spanne mich auf die Folterbank; der Geist, der mich erfüllt, ist ein Geist der Kraft, der Zucht und der Liebe!« Da wagte es der Statthalter nicht, sie vor allem Volk zu martern. Er ließ sie wieder ins Gefängnis bringen.
Agathe aber ging beschwingt, wie zum Tanz.
Das erregte den Zorn des Statthalters nur noch mehr. Am nächsten Tag ließ er sie foltern. Agathe rief: »Eine gute Botschaft! Mir ist zumute wie einer, der man eine Erstgeburt verkündet. Auch der Weizen kommt nicht in die Scheune, ehe die Ähren zertreten sind, ehe das Korn sauber von der Spreu getrennt ist.« Den Tyrannen verdroß der Mut, mit dem die Jungfrau die Martern ertrug. Er ließ sie deshalb an einen Pfahl binden und ihr mit glühenden Zangen die Brüste abreißen. Das neugierige Volk erschauerte, als es diese Marter sah. Agathe aber rief dem Tyrannen zu: »Du unmenschlicher Barbar! So ehrst du die Quelle, aus der dich deine Mutter ernährt hat!
Aber die Quellen, aus denen meine Seele trinkt, bleiben unverletzt. Sie spenden mir himmlische Speise.« Quintianus ließ die Märtyrerin wieder ins Gefängnis werfen und verbot, sie zu pflegen und ihr Nahrung zu bringen.
Um Mitternacht öffneten sich aber die Türen des
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