Das Hausbuch der Legenden
Schätze dieser Erde auf, um sie für sich zu gewinnen. Dorothea aber wies ihn mitsamt seinen Reichtümern ab. Sie erklärte ihm, daß sie nur die Braut dessen sein könne, der sie mit seinem Blut erlöst habe.
Da gab Fabricius die Rolle des Freiers auf, setzte sich auf seinen Richterstuhl und nahm das Mädchen in ein strenges Verhör. Dorothea bekannte sich zum Christentum und hielt ihrem weltlichen Richter eine eindringliche Rede über die Torheit des Götzendienstes. Das erboste den Statthalter so sehr, daß er die Jungfrau in einen Kessel mit siedendem Öl setzen ließ. Aber sie stieg unverletzt aus diesem tödlichen Sud wie aus einem köstlichen Bad und war schöner als zuvor. Als die Heiden dieses Wunder sahen, bekehrten sich viele.
Fabricius aber schalt Dorothea eine Zauberin, ließ sie fesseln und für neun Tage ohne Speise und Trank einkerkern. Sie bedurfte seiner schlechten Kost nicht; denn der himmlische Bräutigam sorgte für bessere Speise.
Am zehnten Tag wurde Dorothea vor eine hohe Säule mit dem Bild des Apollo geführt. Der Statthalter befahl ihr, den heidnischen Gott anzubeten. Das Mädchen erwiderte: »Ich bete Gott an, keinen Dämon.« Dann fiel sie auf die Knie und flehte zum Herrn, ein Zeichen zu geben, daß er allein Gott sei.
Daraufhin traf ein Donnerschlag die Säule und zermalmte sie so, daß kein Staubkorn mehr zu finden war. Durch dieses zweite Wunder wurden wieder viele tausend Heiden bekehrt.
Sie bekannten sich zu Christus und drängten sich zum Märtyrertod. Dorothea aber wurde an den Füßen aufgehängt, mit Ruten geschlagen, mit Skorpionen gegeißelt, mit eisernen Kämmen zerrissen und mit brennenden Fackeln gesengt. Dann brachte man sie halbtot in den Kerker. Am nächsten Morgen sah man keine Spuren von den Verletzungen mehr. Das
überraschte den Landpfleger. Er sagte zu ihr: »Dorothea, du bist ein anmutiges Mädchen. Du bist genug gezüchtigt worden.
Ich würde mich freuen, wenn du dich jetzt eines Besseren besännest.« Dann ließ er sie zu ihren Schwestern Christe und Calliste bringen. Die beiden waren aus Angst vor dem Tod von ihrem Glauben abgefallen, und Fabricius hoffte, Dorothea werde ihrem Beispiel folgen. Es kam aber anders. Dorothea begeisterte ihre Schwestern wieder für das Wort Gottes, sie schilderte die Freuden des ewigen Lebens so eindringlich, daß sie ihren Abfall schwer bereuten und sich wieder zu Christus bekannten. Als Fabricius das hörte, ließ er die beiden Schwestern Rücken an Rücken binden und verbrennen. Zu Dorothea aber sagte er: »Wie lange willst du uns mit deinen Zauberstücken noch täuschen und verspotten? Ich gebe dir zum letzten Mal die Möglichkeit, zu wählen: opfere unseren Göttern, und du wirst ein schönes und reiches Leben mit mir führen. Opferst du nicht, dann muß ich dich zum Tode verurteilen.« Das Mädchen antwortete: »Dann sprich das Urteil bald! Lange schon möchte ich zu meinem lieben Herrn
gelangen, Rosen und Äpfel in seinem Garten pflücken und mich an ihnen laben.« Als der Tyrann sah, daß alle
Verführungskünste versagten, befahl er in seiner Wut, ihr das Gesicht zu zerfetzen. Die Henker zerstörten ihre Schönheit und quälten sie so lange, bis ihnen die Arme müde wurden. Über Nacht aber heilte Christus das Angesicht seiner lieben Braut und gab ihr die verlorene Schönheit zurück.
Am nächsten Morgen sprach der Landpfleger das
Todesurteil. Viel Volk begleitete Dorothea auf den Richtplatz.
Als sie an dem Geheimschreiber Theophilus vorbeikamen, rief er ihr höhnisch zu, sie solle ihm doch Rosen und Äpfel aus dem Garten ihres Liebsten schicken. Die Jungfrau versprach, den Auftrag auszuführen. Theophilus aber lachte lauthals über diese Zusage. Auf dem Richtplatz kniete Dorothea nieder und betete. Da stand plötzlich ein Knabe vor ihr. Er trug einen purpurnen Mantel, der mit goldenen Sternen übersät war. Er reichte Dorothea ein Körbchen mit drei Rosen und drei Äpfeln.
Sie nahm die Gabe nicht an, sondern sagte: »Sei so gut, lieber Bruder, und bringe diese Rosen und Äpfel dem
Geheimschreiber Theophilus!« Dann empfahl sie sich dem Herrn, empfing den Schwertstreich, und ihre Seele stand alsbald vor ihrem himmlischen Geliebten.
Der Knabe ging indessen zum Palast des Landpflegers, fand dort den Geheimschreiber Theophilus, überreichte ihm den Korb und sagte: »Diese Rosen und Äpfel schickt dir meine Schwester Dorothea. Sie sind aus dem Garten ihres Liebsten.«
Dann verschwand er. Theophilus war tief
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