Das Hausbuch der Legenden
alles mit Geduld und ließ sich in ihrem Glauben nicht irremachen. Sie dankte Gott, der ihr diese Prüfung auferlegt hatte, betete und nahm sich ein Beispiel an den Leiden der großen Heiligen. Darüber vergingen viele Jahre. Als Margarita ihr Ende nahen fühlte, schrieb sie an den Abt und die Mönche einen Brief. Sie schrieb: »Ich stamme aus einem edlen Geschlecht und wurde auf den Namen Margarita getauft, denn ich bin eine Jungfrau. Ich war in Gefahr, in dem Meer der Versuchungen zu versinken. Um mich zu retten, floh ich und nannte mich vor Euch Pelagius, was so viel heißt wie Meermann. Ich habe mich nicht aus Hinterlist für einen Mann ausgegeben. Ich wollte Euch nicht betrügen. Ich glaube, das habe ich Euch durch meine Werke bewiesen. Die Missetat hat mir Gelegenheit gegeben, meine Tugend zu bewähren; denn ich mußte unschuldig büßen. Jetzt aber bitte ich Euch, daß mich die heiligen Schwestern bestatten und nicht die Männer, die mich nicht erkannt haben. Frauen sollen die Jungfrau erkennen, die als ein Mann lebte, den man wegen Unzucht verurteilt hat. Das soll mich im Tod mit meinem Leben in der Verbannung versöhnen.« Als sie den Brief gelesen hatten, eilten die Nonnen und Mönche in die Höhle. Ihre Schwester war tot. Aber sie fanden alles so, wie es in dem Brief stand, holten die Tote heim, begruben sie in allen Ehren und taten Buße.
Christophorus, der Riese
VOR ZEITEN wurde im Lande Kanaan ein Riese geboren. Er hieß Offerus, war zwölf Ellen lang und überragte mit seinen starken und mächtigen Gliedern alle, so daß sich keiner mit ihm messen konnte. Wer dem Riesen begegnete, wich ihm ängstlich aus. Das bedrückte Offerus. Darum suchte er Dienst bei einem großen Herrn, der in dieser Welt keinen andern mehr zu fürchten hätte. So kam er an den Hof des mächtigsten Königs dieser Erde. Nun hatte er einen Herrn, der keinen anderen fürchtete, und der König hatte einen treuen
Gefolgsmann. Eines Tages kam ein Spielmann und sang vor dem König fröhliche und geistliche Lieder. So oft der Sänger den Teufel nannte, machte der König das Zeichen des Kreuzes, denn er war ein Christ. Offerus wunderte sich sehr darüber. Als der Spielmann schwieg, fragte er den König, was er denn da immer in die Luft schreibe, wenn der Name des Teufels genannt werde. Der König antwortete: »Dieses Zeichen verscheucht den Teufel. Ich mache es, damit er nicht über mich Gewalt bekommt.« Da sagte Offerus: »Du fürchtest ihn also?
Wenn seine Kraft so groß ist, daß sie dir schaden kann, dann habe ich dir lange genug gedient. Ich glaubte, du seist der mächtigste Fürst auf dieser Erde. Nun sehe ich, daß ich mich geirrt habe. Gehabt Euch wohl! Ich werde den Teufel suchen und ihm dienen.« Offerus verließ den Königshof und suchte den Bösen überall. Aber niemand konnte ihm den Teufel zeigen. Auf dem Weg in ein neues Land kam er durch eine öde und wilde Gegend. Da zog ihm eine Schar schwarzer Reiter entgegen. An ihrer Spitze ritt ein grimmiger, gräßlicher Bursche im roten Wams. Er kam auf Offerus zu und fragte ihn, was er denn hier suche. Der antwortete: »Ich suche den Teufel; denn ich will in seine Dienste treten.« Da antwortete der Reiter: »Der bin ich!« Er nahm Offerus den Eid ab, und sie ritten lange weiter, quer durch das Land, ohne Weg und Steg.
Endlich erreichten sie eine Heerstraße, an der ein Kreuz stand.
Als der Teufel das Kreuz sah, machte er auf der Hinterhand kehrt und ritt mit seinen Leuten über Stock und Stein einen weiten Umweg, bis er dieselbe Landstraße an einer anderen Stelle wieder erreichte. Das wunderte Offerus sehr, und er fragte den Teufel: »Was ist in dich gefahren, als du das alte Holz gesehen hast? Warum schleppst du uns durch dick und dünn? Warum hast du nicht die schöne gerade Straße
genommen?« Als der Teufel mit seiner Antwort zögerte, erklärte Offerus, er werde seinen Abschied nehmen, wenn er den Grund für dies Verhalten nicht erfahre. Da sagte der Teufel: »Das Kreuz ist mir verhaßt. An diesem Kreuz hing ein Mensch, den sie Christus nannten. Er starb an diesem Kreuz, aber er ist nicht tot. Er ist mein grimmigster Feind und tut mir Abbruch, wo er kann. Darum muß ich fliehen, sobald ich sein Kreuz sehe.« Da sprach Offerus: »Wenn du sein Zeichen fliehen mußt, dann ist er größer als du. Darum leb wohl! Ich werde Christus suchen und ihm dienen.«
Offerus war wieder allein. Er zog um die halbe Welt, um Christus zu suchen. Endlich begegnete er einem frommen
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