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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Einsiedler, der ihn bei sich aufnahm, ihm von der Macht und Herrlichkeit des Herrn erzählte und ihm das Evangelium auslegte. Offerus hörte aufmerksam und andächtig zu und sagte dann: »Das alles gefällt mir sehr. Ich möchte diesem großen und mächtigen Herrn alle Tage meines Lebens dienen.
    Aber wie soll ich das anfangen?« Da erwiderte der Einsiedler:
    »Unserem Herrn gefällt es, wenn einer sich abtötet; du mußt dich im Fasten üben!« Darauf sagte Offerus: »Ich muß essen, wenn ich Hunger habe. Ich kann dieses Gebot nicht halten.
    Nenne mir ein anderes!« Darauf sagte der Einsiedler: »Dann übe dich im Wachen! Auch das hat unser Herr empfohlen.«
    Aber Offerus antwortete: »Ich muß schlafen, wenn ich müde bin. Ich kann auch dieses Gebot nicht halten. Nenne mir ein anderes!« Da sprach der Einsiedler: »Dann bete fleißig zu unserem Herrn!« Offerus erwiderte: »Wie soll ich denn beten?
    Ich kenne keine Gebete und ich verstehe mich nicht darauf, Worte zu machen! Gib mir eine tüchtige, handfeste Arbeit! Die will ich unserem Herrn zulieb gerne tun.« Da sah ihn der Einsiedler lange an und fragte schließlich: »Kennst du die Furt, die dort unten zwischen den Felsen durch den Fluß führt? Es gibt keine Brücke und keinen Steg, in dem reißenden Strom kommen viele Menschen um. Du aber bist größer und stärker als alle anderen. Trage die Menschen für Gotteslohn durch das wilde Wasser und diene unserem Herrn auf diese Weise!« Da rief der Riese fröhlich: »Das kann ich tun! Das ist ein Gebot, das ich halten kann!« Darauf trug er Felsstücke zusammen und baute sich an dem wilden Wasser eine feste Hütte. Im Wald brach er einen kräftigen jungen Baum, den er als Stange benutzte; denn das Wasser war oft so hoch, daß selbst der starke Riese nicht ohne Stütze gehen konnte. Es kamen viele Menschen an diese Furt, und Offerus trug sie auf den Schultern durch den Fluß, bei Tag und bei Nacht. In einer Nacht weckte ihn die Stimme eines Kindes. Er sprang auf und ging vor seine Hütte, konnte aber niemand finden. Darum ging er wieder hinein. Er war noch nicht recht eingeschlafen, da rief die Kinderstimme wieder: »Offerus! Offerus! Komm heraus! Hilf mir über das Wasser!« Diesmal war er noch schneller draußen.
    Aber er suchte wieder vergeblich. Er konnte keinen Menschen finden. Trotzdem ließ er es sich nicht verdrießen und kam auch beim dritten Anruf wieder aus seiner Hütte. Da fand er ein Knäblein am Ufer, das ihn flehentlich bat, es hinüberzutragen.
    Offerus nahm das Kind auf seine breiten Schultern, ergriff seinen Stab und ging in den Fluß. Aber das Wasser schwoll immer mehr an, und das Kind lastete wie Blei auf seinem Nacken. Mit jedem Schritt wurde der Knabe schwerer, und die Flut wurde so hoch und mächtig, daß er nahe daran war, zu ertrinken. Er mußte alle seine Kräfte anspannen, um endlich erschöpft und atemlos das rettende Ufer zu erreichen. Er setzte das Kind ab und sagte: »Kind, du hast mir große Angst gemacht. Der Fluß war plötzlich groß und reißend wie noch nie, und du wurdest immer schwerer. Ich dachte, ich trage die ganze Welt auf meinem Rücken.« Da lächelte das Kind und sagte: »Wundere dich nicht! Du hast nicht nur die ganze Welt getragen, sondern auch den, der sie geschaffen hat; denn ich bin Christus, dein König und Herr. Beuge dich zu mir herab, damit ich dich im Namen meines Vaters, in meinem Namen und im Namen des Heiligen Geistes taufen kann. Du sollst von nun an Christophorus heißen, weil du mich getragen hast. Du hast mir gut und treu gedient. Stoße drüben vor deiner Hütte den Stab in die Erde. Er wird morgen Blüten und Früchte tragen. Nimm dies als Zeichen meiner Macht!« Nach diesen Worten war das Kind verschwunden.
    Christophorus ging durch den Fluß zurück, der jetzt ganz ruhig war, er stieß den Stab in die Erde und ging schlafen. Am nächsten Morgen aber stand vor seiner Hütte ein mächtiger Baum, der zugleich Blüten und Früchte trug. Christophorus aber wollte seinem Herrn besser dienen und ging wieder auf die Wanderschaft. So kam er auch nach Samos, wo die
    Christen besonders grausam verfolgt wurden. Er wollte sie trösten, verstand aber ihre Sprache nicht. In seiner Einfalt bat er Gott, ihn doch auch in dieser Zunge reden zu lassen; und der Herr erhörte sein Gebet. Christophorus ging auf den
    Richtplatz, betete mit den Verurteilten und ermahnte sie, standhaft zu sein. Einer der Richter schlug ihm deshalb ins Gesicht. Er mußte dazu auf ein Gerüst

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