Das Heerlager der Heiligen
wissen, was wollen die Leute? Was suchen sie? Was erwarten sie?«
»Offen gesagt, wir wissen es nicht.«
»Zweifeln Sie noch?«
»Vielleicht.«
Auf den Lippen der bärtigen Statue zeigte sich ein merkwürdiges Lächeln. War dies der Bischof oder der Schriftstellerrenegat?
»Würden Sie es gewagt haben …?« fuhr der Konsul fort, ohne den Satz zu beenden oder seine Gedanken zu äußern. »Nein! Unmöglich! Soweit würden Sie nicht gehen!«
»Wirklich«, sagte eine dritte Statue – diesmal war es wohl der Bischof – »soweit wäre ich nicht gegangen.«
»Überrollt also?«
»Sicher. Aber einige von uns werden mitmachen. Es passieren augenblicklich Dinge von außergewöhnlicher Bedeutung. Sie betreffen diese Volksmenge, ohne daß sie es weiß oder begreift. Ich kann dazu eine Hypothese aufstellen. An die Stelle der einzelnen Adoptionen, die so viele dieser armen Leute mit Hoffnung erfüllt haben, ist eine noch unglaublichere, geradezu verrückte Hoffnung getreten, nämlich die auf eine Generaladoption. Es braucht nicht viel, um nichtumkehrbare Bewegungen in Gang zu setzen.«
»Eine hübsche Erkenntnis, Monsignore«, sagte der Konsul. »Sie sind ein Prachtexemplar eines römisch-katholischen Bischofs. Ein moderner Kondottiere der Heiden. Sie haben den Zeitpunkt gut ausgesucht. An Armen fehlt es nicht. Millionen! Das Jahr ist noch keine drei Monate alt, und schon ist die Hälfte dieser Provinz von Hungersnot heimgesucht. Die Regierungen dieser Gebiete sind völlig überfordert. Was auch kommen mag, sie werden sich die Hände in Unschuld waschen. Das konsularische Korps dieser Stadt ist heute früh inoffiziell unterrichtet worden. Indessen legen Sie Zeugnis ab. Das ist doch der Ausdruck, den Sie verwenden, nicht wahr? Sie legen Zeugnis ab, von was eigentlich? Von Ihrem Glauben? Ihrer Religion? Ihrer christlichen Kultur? Nach den Anbauarbeiten, nach unseren Bemühungen, unserer ärztlichen Versorgung und technischen Beratung hat man herausgefunden, daß es einfacher ist, Sie zu bitten: ›Nimm meinen Sohn und mich, und führe uns von hier weg in Dein Land.‹ Diese Idee geht schnell um, und das entgeht Ihnen wohl. Eine Flut, eine unkontrollierbare Flut ist im Gang. Gott sei Dank ist noch ein Meer zwischen diesem Land und dem unsrigen in Europa.«
»Ja, das Meer ist noch da!« sagte eine vierte Statue.
»Es gibt ein altes Wort«, sagte noch der Konsul, »das auf Leute Ihres Schlags paßt: Verräter. Der Fall ist nicht neu. Es ist dies eine Sorte Menschen, von denen Europa immer mehr im Überfluß hat, je mehr es zusammenschrumpft. Sicher kann man da nichts machen. Auch ich bin machtlos. Aber selbst wenn ich mich im Ergebnis täuschen sollte, Ihr Handeln mißbillige ich auf alle Fälle. Ihre Pässe werden nicht mehr erneuert. Dies ist das einzige Mittel, das ich noch habe, um meiner offiziellen Mißbilligung Ausdruck zu verleihen. Meine europäischen Kollegen tun im Augenblick das gleiche mit ihrem europäischen Personal.«
Die Statue, die vom Meer gesprochen hatte, erhob sich. Diesmal war es der atheistische Philosoph, der bei uns unter dem Namen Ballan bekannt ist.
»Pässe, Nationen, Religionen, Ideale, Rassen, Grenzen und Meere, alles Quatsch!« sagte Ballan. Ohne noch etwas hinzuzufügen, ging er weg.
»Daß Sie mir zugehört haben«, sagte der Konsul, »dafür danke ich Ihnen. Sicher werde ich Sie nicht mehr sehen. Für Sie vertrete ich nichts mehr. Deshalb waren Sie auch so geduldig. Wie mit einem Sterbenden.«
»Irrtum«, sagte der Bischof, »ohne daß wir uns einig sind, werden wir zwei Sterbende sein. Ich werde Indien nie verlassen.«
Nachdem Ballan durch das Gittertor des Konsulats gegangen war, hatte er sich einen Weg durch die Menge gebahnt. Ballan faszinierte die Mißgeburten, und diese faszinierten ihn. Er stopfte in die unförmigen Mäuler schmutzige Bonbons, von denen er seine Taschen immer voll hatte. Beim Anblick des großen Mistkäfers, auf dem immer noch das scheußliche Totem saß, rief Ballan ihm zu:
»Und Du, Kotkneter, was suchst Du hier?«
»Nimm uns mit, ich bitte Dich.«
»Heute noch wirst Du mit mir im Paradiese sein.«
»Heute?« erwiderte der arme Mann völlig durcheinander.
Ballan lächelte ihn liebevoll an.
Vielleicht ist dies eine Erklärung?
7.
»… in den vier Küstendepartements. Die Armee wird im Rahmen des Möglichen und in den Grenzen, die durch andere Aufgaben gezogen sind, für die Absicherung des zurückgelassenen Besitzes sorgen. Die Regierung
Weitere Kostenlose Bücher