Das heilige Buch der Werwölfe
uns der Suggestion dient) hypnotisch auf das Bewusstsein des Werwolfs zurück, macht ihn glauben, dass die Transformation geschieht, und so geht das weiter, bis die Verwandlung zum Tier abgeschlossen ist. Positive Rückkopplung ist der technische Begriff dafür.
Alexanders Verwandlung begann jedes Mal gleich: Sein Körper ging ins Hohlkreuz, als würde ein unsichtbares Seil zwischen Schweif und Schädel gespannt. Nun begriff ich, was da eigentlich ablief. Die Energie, die wir Werfüchse auf die Menschen richteten, schlossen die Werwölfe in sich kurz; sie induzierten die Transformation zunächst in der eigenen Wahrnehmung und erst hierdurch, in der Folge bei anderen.
Darf man solch eine Art der Verwandlung real nennen? Ich wusste noch nie recht, was dieses Beiwort eigentlich besagen soll, zumal jede Epoche eine andere Bedeutung hineinlegt. Im modernen Russischen zum Beispiel gibt es für die Vokabel »real« ( realny ) vier grundsätzliche Anwendungsmöglichkeiten:
1. Interjektion für den Kampfgebrauch, verwendet von Banditen und FSB-Mitarbeitern bei Revierstreitigkeiten;
2. Jargonausdruck, den Upper rat und Von-Unten-Nehmer im Gespräch über Auslandskonten gebrauchen;
3. Terminus technicus im Immobilienzusammenhang;
4. allgemeingebräuchliches Attribut in der Bedeutung »mit Dollargegenwert«.
Letztere Unterbedeutung rückt den Terminus »real« in synonymische Beziehung zum Wort »metaphysisch« – ist doch der Dollar in unserer Zeit eine dunkle, mystische Größe, die zur Gänze auf dem Glauben basiert, dass es morgen so ähnlich ist wie heute. Mystik aber sollten Werwesen tunlichst denen überlassen, die von Berufs wegen damit zu tun haben: Polittechnologen und Ökonomen, meine ich. Schon deswegen zögere ich, die Verwandlung eines Werwolfs als real zu bezeichnen – es könnte leicht der Eindruck entstehen, dass billiger menschlicher Satanismus im Spiel wäre. Zweierlei stand in diesem Zusammenhang jedoch außer Frage:
1. Eine Werwolftransformation war etwas grundsätzlich anderes als die Bezirzung durch einen Werfuchs, auch wenn beide auf demselben Effekt beruhten.
2. Für eine Metamorphose zum Werwolf bedurfte es riesiger Mengen an Energie – weit mehr, als wir Werfüchse an einem Kunden verausgabten.
Dies war der Grund, weshalb Werwölfe nie lange im Tierkörper verbleiben konnten; die Folklore hat daraus allerlei zeitliche Einschränkungen für eine solche Transformation abgeleitet: lichtlose Tageszeit, Vollmond und dergleichen mehr. Hier hat der selige Lord Cricket vollkommen klar gesehen.
An diesem Punkt der Überlegung angelangt, kam mir jenes eigentümliche Empfinden während der letzten Jagd in den Sinn, da ich, zum ersten Mal im Leben, die Reststrahlung meines Schweifes an mir selbst wahrnahm. Was zum Teufel war es, was ich mir da selbst suggeriert hatte? Dass ich ein Werfuchs war? Das wusste ich auch ohne Suggestion … Was war los? Ich fühlte mich an der Schwelle zu etwas Bedeutendem, das mein ganzes Leben verändern und endlich aus der geistigen Sackgasse herausführen konnte, in der ich seit fünfhundert Jahren festsaß … Zu meiner Schande muss ich jedoch gestehen, dass ich erst einmal überhaupt nicht an geistige Praxis dachte.
Peinlich zuzugeben, aber mein erster Gedanke galt dem Sex. Alexanders harter grauer Schweif fiel mir ein, und auf einmal wusste ich, wie wir unser Liebesleben in andere Höhen katapultieren konnten. Es war ganz einfach. Die suggestiven Mechanismen waren bei Werfuchs und Werwolf im Wesentlichen gleich – unterschiedlich nur die Intensität der Einwirkung und das Objekt. Ich bewirtete meinen Kunden sozusagen mit Champagner, und es wurde für ihn ein heiterer Abend. Alexander hingegen leerte seine Flasche Wodka selbst, und das bekam allen Anwesenden schlecht. Doch der Wirkstoff Alkohol war in beiden Fällen derselbe.
Brächten wir es fertig, unsere Potenzen zusammenzulegen, so ließen sich aus Champagner und Wodka eine Menge unterschiedlichster Cocktails mixen. Sex ist ja doch mehr als nur die Koppelung gewisser Körperteile. Er ist ein Energieverbund, ein gemeinsamer Trip. Wenn wir es lernten, unsere Hypnose-Vektoren so zu verquicken, dass eine Illusion von Liebe daraus entstünde, in die wir gemeinsam abtauchen konnten, dann hinge der Himmel für uns voller Geigen, ein einziger großer Geigenladen … So mein Gedanke.
Eine Schwierigkeit gab es allerdings. Man musste sich als Erstes darauf einigen, was man sehen wollte. Und das
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