Das heilige Buch der Werwölfe
härtesten Nägel hienieden , aber in der Rohfassung stand es genau wie oben gesagt, ich habe es mit eigenen Augen gesehen).
»Geben Sie mir den Schlüssel, ich muss los«, sagte ich.
»Warten«, ächzte Michalytsch. »Reden …«
»Mit Junkies rede ich nicht.«
»Geht dich … nichts an.«
Er sprach mühsam, mit großen Pausen, als wäre jeder Satz ein hoher Berg, von dem der Sturm ihn immer wieder herunterblies.
»Klar«, sagte ich betont beleidigt, »das geht mich nichts an. Dasselbe hat Ljusja auch zu hören gekriegt: Geht dich nichts an. Aber wie der Kunde bei ihr am japanischen Kirschzweig verreckt ist, da hatte sie ein Ermittlungsverfahren am Hals. Ihr Anwalt sagt: Bauchfellentzündung, Unglücksfall. Der Staatsanwalt dagegen hängt ihr einen Darmdurchbruch an, fahrlässige Tötung. Und dafür muss man noch drei Hunderter vorbeitragen, damit es fahrlässig ist, sonst kann es leicht in die Vollen gehen. Schlüssel her, oder ich verpass Ihnen noch eine. Scheißegal, dass Sie beim FSB sind … Mir passiert schon nichts, das ist Notwehr.«
Bei diesen Worten griff ich wieder nach der Flasche.
Er stieß einen gräulichen Laut aus – wie wenn tief im Weiher der Wassergeist lacht. Dann versuchte er, etwas zu sagen, doch heraus kam nur: »Blb-bleib-blb…«
»Hören Sie, ich bitte Sie zum letzten Mal im Guten«, sagte ich, »Geben Sie den Schlüssel raus!«
»Fotze.« Das Wort kam überraschend deutlich.
Was diese Offiziere doch für Flegel sind. Haben einfach keine Manieren, wissen nicht, wie man mit Mädchen redet. Ich hob die Flasche zum Schlag, da ging hinter meinem Rücken die Tür auf.
Auf der Schwelle stand ein großer junger Mann im dunklen Regenmantel mit hochgeschlagenem Kragen. Unrasiert, finster und äußerst gut aussehend – das registrierte ich ohne jede innere Beteiligung, mit kaltem Künstlerblick.
Etwas abträglich war nur die herrisch-arrogante Mundfalte. Sie stieß nicht ab, sie hielt auf Distanz. Aber auch mit ihr sah er wirklich sehr, sehr attraktiv aus. Ein bisschen ähnelte er dem Zaren Alexander I. als junger Mann – der hatte in den ersten Jahren nach der Thronbesteigung auch diesen Wolfsblick.
Diese Physiognomie faszinierte mich. Ich weiß nicht, wie erklären. Es sah aus, als lebte dieser Mann seit vielen Jahren mit Zahnschmerzen und gab nicht mehr darauf Acht, obwohl die Schmerzen ihn tagtäglich quälten. Und dann dieser Blick: Die graugelben Augen brannten sich der fremden Netzhaut ein und schauten einem von da noch sekundenlang in die Seele. Das Entscheidende aber war, so schien mir, dass dieses Gesicht der Vergangenheit angehörte. Solche hatte man in früheren Zeiten viel um sich: als die Menschen noch an die Liebe glaubten und an Gott. Später starb dieser Menschentyp beinahe vollständig aus.
Eine Weile schauten wir einander in die Augen.
»Ich wollte ihn gerade mit Champagner kurieren«, gab ich kund und stellte die Flasche auf den Tisch zurück.
Der Gast ließ seinen Blick zu Michalytsch wandern.
»Sag bloß, du hast deine Tochter angeschleppt?«, fragte er.
»Nääh …«, röchelte Michalytsch von seinem Stuhl und schaffte es sogar, mit der Hand zu wedeln, die Anwesenheit des Gastes flößte ihm augenscheinlich neuen Mut ein. »Ne … ne Nutte …«
»Ah!«, machte der Gast und sah wieder auf mich. »Ist das die, die … unserem Fachberater zu nahe getreten ist?«
»Genau.«
»Und was ist mit dir los?«
»Chef …«, stammelte Michalytsch, »der Zahn, Chef … der Zahn! Narkose!«
Der junge Mann schnupperte in die Luft und verzog ärgerlich das Gesicht.
»Sag bloß, sie haben dich mit Ketamin narkotisiert?«
»Chef, ich …«
»Oder wolltest du dir vom Tierarzt die Ohren kupieren lassen?«
»Chef…«
»Sag, geht das jetzt wieder los? Am Objekt kann ich es noch verstehen. Aber wozu hier? Haben wir uns zu dem Thema unterhalten oder nicht?«
Michalytsch schlug die Augen nieder. Der junge Mann blickte mich an, neugierig, wie mir schien.
»Chef, ich kanns erklären«, fing Michalytsch wieder an, »Ehren-…«
Ich konnte physisch spüren, wie schwer ihm das Sprechen fiel.
»Nein, Michalytsch«, sagte der Gast, »die Erklärungen gebe ich.« Nahm die Flasche Champagner vom Tisch und schlug sie Michalytsch mit voller Wucht über den Schädel.
Diesmal platzte die Flasche. Ein weißschäumender Geysir ergoss sich über Michalytsch von Kopf bis Fuß. Ich war mir sicher, dass er sich nach einem solchen Schlag nie mehr vom Stuhl erheben würde – in der
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