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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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zurechtkommen. Doch könnten sie, selbst wenn sie es wollten, ihre Berufsgeheimnisse nicht preisgeben, da sie sie selbst nicht rational erfassen. Während wir Werfüchse uns diese Geheimnisse bewusst vor Augen führen – und ich werde nun auf eines zu sprechen kommen, welches das einfachste und wichtigste zugleich ist.
    Wer der Schönheit wahre Natur verstehen will, muss sich als Erstes die Frage stellen: Wo ist sie lokalisiert? Darf man annehmen, dass sie irgendwo in dieser Frau steckt, die einem so wunderschön erscheint? Darf man zum Beispiel sagen: Die Schönheit liegt in ihren Gesichtszügen? In der Figur?
    Will man der Wissenschaft glauben, so bezieht das Hirn seinen Informationsfluss von den Sinnesorganen, im gegebenen Fall den Augen. Ohne die vom visuellen Kortex zugelieferten Interpretationen wären dies jedoch nur chaotische Farbmuster, die im Sehkanal zu Nervenimpulsen digitalisiert werden. Jeder Dummkopf sieht ein, dass an dieser Stelle von Schönheit noch keine Rede sein kann; durch die Augen kommt sie dem Menschen jedenfalls nicht ein. Technisch gesprochen, ist Schönheit pure Interpretation, wie sie im Bewusstsein des Patienten vonstatten geht. In the eye of the beholder, sozusagen.
    Schönheit ist der Frau nicht im Wortsinne eigen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens wird die Schönheit plötzlich von ihrem Gesicht reflektiert, wie das Licht der hinter Dächern vor uns verborgenen Sonne von einer Fensterscheibe reflektiert wird. Darum wäre es auch falsch zu sagen, weibliche Schönheit sei vergänglich – es ist die Sonne, die weiterwandert, und andere Fenster werfen ihr Licht nun zurück. Doch steckt die Sonne bekanntlich nicht in den Scheiben, auf die wir schauen. Sie steckt in uns.
    Was ist das für eine Sonne? Mit Verlaub, dies wäre schon Geheimnis Nummer zwei, und für heute möchte ich es bei der Enthüllung des einen belassen. Außerdem ist die Natur der Sonne vom Standpunkt der praktischen Magie vollkommen nebensächlich. Entscheidend ist, was wir mit dem Licht anfangen, und da besteht zwischen Frauen und Werfüchsen ein gewichtiger Unterschied. Den ich aber, wie schon im Fall zuvor, nur vermittels einer Analogie zu erklären weiß.
    Es gibt so kleine Leuchten, die man an einem speziellen Riemen vor der Stirn trägt. Bei Radfahrern und Höhlenforschern sehr beliebt. Wohin der Kopf sich wendet, dorthin fällt das Licht, das ist praktisch. Ich radle selbst manchmal mit so einem Ding durch den Bitza-Park. Drei kleine spitze Lämpchen stecken darin, die einen bläulich weißen Lichtfleck auf den Wegbelag werfen. So gesehen, ist Schönheit ein Effekt, der sich im Bewusstsein des Betrachters einstellt, wenn das Licht der Lampe an seinem Kopf, von etwas reflektiert, wieder in seinem eigenen Auge ankommt.
    In jeder Frau nun steckt ein Spiegel, der von Geburt an in einem bestimmten Winkel angebracht ist; der Winkel lässt sich nicht ändern, da kann die Schönheitsindustrie noch so viel lügen. Wir Werfüchse hingegen vermögen den Stellwinkel unseres Spiegels in einem sehr weiten Schwenkbereich zu regulieren. So können wir uns auf praktisch jeden Radfahrer einstellen. Suggestion und Koketterie gehen hierbei Hand in Hand: Der Schweif bleibt unter der Kleidung, wir helfen mit ihm nur ein bisschen nach. Aber wie jeder Werfuchs weiß – dieses bisschen macht es aus.
    Extra für diese Aufzeichnungen habe ich ein Stück aus den Erinnerungen des Grafen de Chermandois übersetzt, eines bekannten Lebemannes des 18. Jahrhunderts; darin hat er I Huli für die Nachwelt ein Denkmal gesetzt. Chermandois begegnete ihr in London, wohin er sich vor den Schrecken der Revolution in Sicherheit gebracht hatte. Zwischen ihnen entspann sich eine Affäre, doch das Ende war tragisch: Der Graf starb unter sonderbaren Umständen an Herzschlag. Hier nun beschreibt der Graf den Moment, da der Werfuchs den Spiegel so dreht, dass ein Strahl vom reflektierten Licht dem Opfer direkt ins Auge fällt:
     
    Dass sie besonders hübsch gewesen wäre, kann ich nicht sagen. Wenn ich sie nach längerer Trennung wiedersah, wunderte ich mich jedes Mal, wie es so weit hatte kommen können, dass dieses kleine magere Geschöpf mit den tückischen Äuglein alles für mich gewesen war: Liebe, Leben, Tod, Rettung meiner Seele. Doch es genügte, ihrem Blick zu begegnen, und alles änderte sich. Zuerst erschien in ihren grünen Augen etwas wie ein erschrockener Zweifel: Werde ich geliebt? schienen sie zu fragen. Dass es eigentlich keinen

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