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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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bezogen zu haben, ehe ich begriff, dass Mascha vom Reliquienschrein gesprochen hatte und jenem guten Engel darin, welcher uns verlässt, wenn wir die Unschuld verlieren.) Doch meine Traurigkeit war von lichter Art und meine Stimmung im Ganzen vorzüglich.
    Einen Verdacht allerdings gab es, der seinen Schatten warf. Ich wurde das Gefühl nicht los, in dieselbe Falle getappt zu sein, die ich zeit meines Lebens anderen stellte: Konnte es sein, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte? Es war die reine Paranoia – wir Werfüchse sprechen nicht auf Hypnose an. Doch eine vage Beunruhigung blieb in meinem Herzen wohnen.
    Die Verwandlung, die mit Alexander vor sich gegangen war, konnte ich nicht verstehen. Auch Werfüchse erleben mitunter so genannte supraphysikalische Transformationen, ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Doch die gehen niemals so weit. Was Alexander da vorgeführt hatte, war atemberaubend. Ein uraltes Geheimnis schien in ihm lebendig, das die Werfüchse längst vergessen hatten – und dass mich dieses noch längere Zeit beschäftigen würde, wusste ich schon.
    Außerdem fragte ich mich, ob der Verlust der Jungfräulichkeit womöglich Auswirkungen auf meine Fähigkeiten zur Irreführung hatte. Es bestand überhaupt kein Anlass zu dieser Befürchtung, doch irrationale Ängste sind bekanntlich die klebrigsten. Ich wusste, dass ich keine Ruhe finden würde, bevor ich mich nicht meiner Begabungen versichert hatte. Darum war ich, als mein Telefon das nächste Mal klingelte, schnell bereit, dem Ruf zu folgen.
    Wie der Anrufer klang, hatte ich es mit einem schüchternen Studenten aus der Provinz zu tun, der ein bisschen Geld gespart hatte, um von seiner Kindheit rituell Abschied zu nehmen. Irgendetwas an dieser Stimme bewog mich jedoch, sicherzugehen und die Nummer im Display mit der entsprechenden Datenbank auf meiner Festplatte abzugleichen. Und siehe da, der Anruf kam vom nächstgelegenen Polizeirevier. Anscheinend planten die Bullen einen Subbotnik zum Frühlingsanfang. Diese Art Veranstaltung hatte ich schon zu Sowjetzeiten gehasst, doch heute beschloss ich, mich freiwillig in die Höhle des Löwen zu begeben – wenn schon einen Test, dann einen richtigen.
    Die Bullen waren zu dritt. Einen Duschraum hatte das Revier nicht zu bieten, ich musste meine Vorbereitungen also in einer Klokabine mit Sprung in der Schüssel treffen, die mich lebhaft an die Tscheka in Odessa während der Revolutionsjahre erinnerte. (Über einem solchen Becken hatte man Leute in den Kopf geschossen, damit das Blut nicht auf den Boden spritzte.) Meine Ängste erwiesen sich selbstverständlich als unbegründet – alle drei Milizionäre versackten in Trance, kaum dass ich den Schweif gehoben hatte. Ich hätte mich unter meine Reitbahntribüne zurückziehen können, doch mir kam ein interessanter Gedanke.
    Noch am Morgen hatte ich über das alte Rom meditiert und an Sueton gedacht – vielleicht war dies der Auslöser gewesen für die in mir erwachte Experimentierfreude. Sein Bericht über Tiberius' Orgien auf Capri fiel mir ein: Dort war von so genannten Spintrien die Rede, die die Sinnlichkeit des alternden Imperators entfachen halfen, indem sie sich vor seinen Augen zu dreien paarten. Die Geschichte reizte meine Vorstellungskraft – das ging so weit, dass ich den Namen eines unschuldigen Computerspiels, Splinter Cell nach Tom Clancy, in diese Phantasien einbaute. Hier nun, in Gesellschaft dreier moralischer Außenseiter, konnte ich mich eines Experiments nicht enthalten. Und ich kriegte es wunderbar hin! Besser gesagt: Sie kriegten es hin. Was Tiberius an diesem rüden Schauspiel sinnlich gefunden hatte, blieb mir allerdings ein Rätsel – meiner Ansicht nach taugte es bestenfalls als Illustration für eine der edelsten Weisheiten des Buddhismus: Leben ist dukha , Sehnsucht und Schmerz. Aber das hätte ich auch ohne die Dreieinigkeit kopulierender Polizisten gewusst.
    Auf dem Revier fanden sich viertausend Dollar in bar, die mir äußerst gelegen kamen. Außerdem stieß ich auf ein Fotoalbum zu Lehrzwecken mit Tätowierungen aus dem kriminellen Milieu, das ich neugierig durchblätterte. Wohin die Entwicklung in diesem Genre ging, entsprach ganz der Richtung, die die Weltkultur im Allgemeinen nahm: Das religiöse Bewusstsein eroberte sich die im zwanzigsten Jahrhundert verlorenen Positionen zurück. Auch wenn man seine Entäußerungen nicht immer gleich als solche wahrnahm. Zum Beispiel verstand ich nicht auf Anhieb, dass

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