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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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aus.
    Zu dem Zeitpunkt ließen sich die Veränderungen an mir nicht mehr übersehen – und sie wurden bemerkt. Hinter mir ertönte höhnendes Geschrei. Ich sah mich um mit gefletschten Zähnen. Beide Hühnerhalter, Vater und Sohn, verfolgten mich. Doch der Abstand war bereits beträchtlich. Ich bremste ab, um mich aus dem Flatterhemd herauszuwinden (was keine Mühe bereitete – mein Leib war sehnig und biegsam geworden), ließ sie ein Stück herankommen, bevor ich weiterlief.
    Was bringt einen Menschen in solch einer Situation dazu, hinter einem Werfuchs herzujagen? Hier geht es natürlich längst nicht mehr darum, gestohlenes Eigentum wiederzuerlangen. Erlebt ein Werfuchs seinen supraphysikalischen Schub, bekommen seine Verfolger etwas zu sehen, das all ihre Vorstellungen von der Welt über den Haufen wirft. Von da an geht es nicht mehr um ein geklautes Huhn, sondern um dieses Wunder. Sie haschen einem Abglanz des Undenkbaren hinterher, der ihr schummriges Leben zum ersten Mal hat aufglänzen lassen. Deshalb ist es für unsereins manchmal gar nicht so einfach, den Verfolgern zu entwischen.
    Zum Glück war auf dem Waldweg niemand unterwegs: während der ganzen Hatz kam uns kein Mensch entgegen. Ich wusste, dass Alexander in der Nähe war – ein knackender Ast war an mein Ohr gedrungen, das Rascheln von bewegtem Laub abseits des Weges. Doch ich sah niemanden, höchstens ein-, zweimal einen zwischen Büschen entlangwischenden Schatten.
    Der ältere der beiden Hühnerbauern begann zurückzufallen. Als ihm klar wurde, dass der Abstand sich nicht mehr verkürzen ließ, winkte er ab und stieg aus der Jagd aus. Sein Sohn hielt das Tempo noch einen guten Kilometer länger durch, bevor auch er zusehends schlappmachte. Ich verfiel in einen gemütlichen Trab, so liefen wir noch an die fünfhundert Meter weiter. Dann fing mein Verfolger zu japsen an, kurz darauf ging bei ihm gar nichts mehr – wahrscheinlich war er Raucher. Die Arme auf die Knie gestemmt, blieb er stehen, starrte mir aus dunklen Augen hinterher. Sofort musste ich an den toten Sikh aus dem National denken. Doch ich unterdrückte diese privaten Gefühle, sie waren hier nicht am Platz.
    Wäre mein Ziel gewesen, die Verfolger abzuschütteln, hätte das Spiel hier zu Ende sein können. (So pflegt das Wunder wieder aus dem menschlichen Leben zu entschwinden.) Doch ich wollte mehr – ich wollte den Kitzel der Jagd. Also blieb ich stehen. Die Entfernung zwischen uns betrug kaum zwanzig Meter.
    Wie schon gesagt: Gibt der Werfuchs sein Huhn frei, dauert es höchstens eine Minute, bis alle supraphysischen Veränderungen wieder verschwunden sind. Dann ist natürlich auch die Fähigkeit, einem Menschen davonzulaufen, futsch. Darum war das Manöver, das ich plante, riskant – doch die Gewissheit, dass Alexander zuschaute, stachelte mich an. Ich ließ das Huhn also laufen. Es tat ein paar unsichere Schritte auf dem Asphalt und blieb dann stehen. (Während der Verfolgungsjagd geraten diese Tierchen immer in einen eigenartigen Trancezustand und verhalten sich gestört.) Ich zählte bis zehn, bevor ich es mir wieder schnappte und an mich drückte.
    So viel Hohn und Spott konnte mein Verfolger nicht ertragen – er riss sich zusammen und rannte wieder los, sodass wir weitere dreihundert Meter in ansprechendem Tempo hinter uns brachten. Ich war selig. Die Jagd schien zu glücken, keine Frage.
    Und da geschah das Unerwartete. Wir hatten gerade eine Wegkreuzung passiert, wo die Bäume mit allerlei roten und blauen Pfeilen markiert waren (vermutlich Orientierungszeichen für Skiläufer – aber wer weiß, welchen Reim sich Alexander darauf gemacht hätte), da hörte ich meinen Verfolger plötzlich rufen: »Hierher! Hilfe!«
    Ich wandte mich um, sah ihn jemanden heranwinken. Und dann tauchten aus dem Seitenweg, an dem wir gerade vorbeigekommen waren, zwei berittene Polizisten auf.
    Es fällt mir schwer, das Grauen und die Größe dieses Augenblicks in Worte zu fassen. Bei Puschkin im Ehernen Reiter ist dergleichen beschrieben, nur handelt es sich dort um einen Reiter, hier waren es zwei. Wie in der Zeitlupe eines Alptraums vollzogen sie eine Vierteldrehung, und auf einmal guckten vier Visagen in meine Richtung: zwei Pferde und zwei Polizisten. Sie nahmen die Verfolgung auf.
    Woher bei uns dieser Hass auf englische Aristokraten kommt? Es dürfte genügen, für ein paar Sekunden in meine Haut zu schlüpfen (besser gesagt, mein Fell, denn zu dem Zeitpunkt hatte ich es schon – wenn

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