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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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und abzuwarten, ob Harry wieder aufgegriffen wurde.
    Es fand sich keine Spur. Aber ein Lehrerwagen der Boardingschool war verschwunden.
    Der Sheriff ließ Ball zu sich kommen. »Kann dieser zehnjährige Harry King etwa schon einen Wagen in Gang setzen?«
    »Das nehme ich doch an«, bestätigte Ball in kühlem Ton.
     
    Ohne Harry mußte die kleine Gruppe auf die Reservation zurückkehren. Im alten Blockhaus wollte sich Mary fast die Augen ausweinen. Ite-ska-wih tröstete sie: Er hatte einen Wagen und konnte den eintauschen für das, was er zunächst brauchte.
    In dem Wocheninternat der Schule unter der Fürsorge von Bobs Mutter fand Mary sich zurecht; ihre schulischen Leistungen in Balls Klasse stiegen schnell auf die alte Höhe an. Aber nie fiel ein Wort über den Tod ihrer Mutter oder über ihren Zwillingsbruder Harry. Ihre Augen blieben traurig. In den jeweils drei Wochenendnächten zu Hause hatte sie ihre Puppe im Arm und schlief an der Seite Untschidas. Sie war kein fröhliches Kind mehr.
    Lehrer Ball, der als verantwortlich dafür galt, daß Harry verschwunden war, tat alles Denkbare, um die Suche nach dem Jungen in Gang zu halten. Krause und Margret, sogar die kanadischen Verwandten wurden unterrichtet. Ball annoncierte in mehreren Zeitungen mit Personenbeschreibung. Er erhielt eine Fülle von Mitteilungen, denn es waren viele entlaufene Kinder unterwegs; nicht wenige Personen fühlten sich um ihre Meinung zu diesem Problem angesprochen, aber was Harry anbetraf, so war nicht eine einzige brauchbare Information bei dieser Post. Seine schlimmsten Befürchtungen sprach Ball nicht aus. Entweder, so bangte er, war der Bub tot, oder er hatte sich mit dem entführten Wagen irgendwo einer Gang angeschlossen. Daß ein Zehnjähriger bezahlte Arbeit fand, hielt Ball nicht für wahrscheinlich. Hätte ich nur Hanska mitnehmen können auf diese Reise, dachte er immer wieder. Hanska hätte ihn nicht entkommen lassen.
    Auf den Ranches ging das Leben weiter; die Wachsamkeit erlahmte nicht. Joan begab sich, von Vater Myer begleitet, mit vier besttrainierten Pferden auf Rodeotournee zum Damenwettbewerb. Es blieben immer noch drei entschlossene Männer, die mit ihren Waffen umzugehen verstanden, Hanska, Ray und Percival. Die Gegner gewöhnten sich daran, die Myer- und die King-Bighorn-Ranch in Ruhe zu lassen. Bei Wasescha machte der Bau des eigenen Blockhauses ungestörte Fortschritte.
    Hanska konnte sich auf den Rodeo in New City vorbereiten, zu dem er sich gemeldet hatte.
    Eines Abends suchte Percival Hanska unter vier Augen zu sprechen.
    »Sieh dich doch mal in dem Leihstall für den Rodeo um«, bat Percival. »Mein Vater hat mein Pferd wahrscheinlich an einen Kerl von diesem Leihstall verscheuert, für ein paar Flaschen Whisky. Das Tier ist dafür viel zu schade; es soll einmal ein Zuchthengst werden, ich möchte es wiederhaben. Dann gebe ich den Grauschimmel an Joan zurück.«
    »Du kannst auch zwei Pferde vertragen.«
    »Schon. Aber nicht den Grauschimmel.«
    Hanska horchte auf den Ton. Da mußte es etwas gegeben haben, ausgesprochen oder nicht ausgesprochen. Joan war einige Jahre älter als Percival, im Umkreis ihres Berufs war sie sehr selbstbewußt geworden.
    »Also ein Rappe ist es, ein Hengst, drei Jahre. Daß sie mir den nicht noch zum Wallach machen.«
    »In den Leihställen tun sie immer sehr geheimnisvoll. Ich schaue mich aber da um, hau.«
    Percival schien erleichtert.
    Im eigenen Interesse und mit Rücksicht auf Percivals Anliegen, das er voll und ganz nachfühlen konnte, beschloß Hanska, am Samstag und Sonntag, eine Woche vor dem Rodeo, nach New City zu fahren. Ite-ska-wih wollte er mitnehmen; er hatte Sehnsucht danach, mit ihr zusammen zu sein. Sie lachte und freute sich und wußte noch einen weiteren nützlichen Grund für die Fahrt. Untschida, sie selbst und neuerdings auch Elwe, hatten gemeinsam ein Päckchen Stachelschweinsborsten-Arbeiten für Oiseda fertiggestellt.
    Der alte Jaguar fuhr besser als Balls Dienstwagen. Hanska steuerte sogleich mit Tempo zum Bretterhütten-Viertel der Indianer im Vorstadtgelände und fuhr sehr leise bei Margrets Hütte vor; es war noch früh; er wollte die Nachbarn nicht aufstören.
    Als er ausstieg, huschte auf der andern Seite der Hütte etwas aus dem Fenster. Hanska hatte nicht genau erkennen können, wer oder was, aber gewisse Erinnerungen an Balls Erzählung, kombiniert mit eigenen Spekulationen, setzten seine Glieder sofort in Bewegung. Er sprang um die Hütte herum,

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