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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Zeile mitgegeben und kein Telefongespräch angemeldet. Er hatte das Geld ordnungsgemäß aufbewahrt und ausgehändigt. Dies war kein honorarpflichtiges Rechtsanwaltsgeschäft.
    Die letzte Hoffnung in Percivals Angelegenheit blieben Elizabeth Peck und ihr Chef Doc Raymund. Die Hoffnung war dünn. Ite-ska-wih gestand sich das ein. Aber auch dünne Fäden konnten halten. Es kam auf ihre Eigenschaften an.
    Auf dem Brief Rote Krähes an Elizabeth stand deren Adresse und auch die Adresse von Doc Raymund. Er war mit seiner Familie wieder zu Hause, das war leicht festgestellt. Elizabeth wohnte in einem Appartement in der Nähe des Krankenhauses. Dort konnte man sie wohl des Abends antreffen.
    Die Vermutung traf zu. Spät kam sie nach Hause. Zu viert standen die Gäste vor ihrer Tür, drei Indianer und eine Indianerin. Hanska hielt den Brief deutlich sichtbar in der Hand. Elizabeth warf einen Blick darauf, erkannte offenbar schon auf der Adresse die Handschrift und lud die unerwarteten Gäste ein, mit ihr zu kommen.
    Das Eß- und Wohnzimmer, durch eine halbhohe Wand von der Küche getrennt, war zweckmäßig und mit Geschmack eingerichtet. Ein Bild von Gipfeln der Rocky Mountains erinnerte an die Heimat. Elizabeth bat, sich zu setzen, und las den Brief. Sie nahm sich Zeit, vertiefte sich in den Inhalt, der sie stark zu beschäftigen schien, denn sie las dreimal. Rote Krähe hatte einen erstaunlich langen Brief geschrieben.
    Ite-ska-wih betrachtete Elizabeth unauffällig von der Seite. Sie war ernst. Sie war abgespannt. Aber unzufrieden wirkte sie nicht. Um ihre Mundwinkel lag noch der freundlich heitere Zug, der sonst in diesem noch jungen Gesicht kaum mehr einen Platz fand. Dieser Zug wurde jetzt deutlicher.
    »Moment«, sagte sie schließlich und verwahrte den Brief sorgfältig. Sie öffnete den Kühlschrank und brachte Essen auf den Tisch. Aufschnitt, Brot, Früchte; dazu bereitete sie Tee, der sanft duftete.
    »Ich verstehe alles«, sagte sie, nachdem die erste Tasse die Gäste und sie selbst erfrischt hatte. »Ich verstehe. Diese Nase ist für Doc Raymund kein Problem. Er hat eine Zauberhand. Das Geld ist sein. Problem. Bist du mit mir verwandt, Percival?«
    »Nein.«
    »Ich denke, Rote Krähe wird mit mir verwandt sein. Der alte Inya-he-yukan – Ochguchodskina sagen wir – hatte eine Siksikau zur Frau, sie hieß Sitopanalu ›Ihre Füße singen, wenn sie geht‹. Ihr Geschlecht war verwandt mit dem Geschlecht, aus dem Rote Krähe stammt. Rote Krähe bittet mich, seine Frau zu werden. Das sagt er zum erstenmal. Ich will seine Frau werden. Er wird mein Mann sein, das ist mein Verwandter. Dich, Percival, nennt er seinen Bruder. Dagegen läßt sich nichts einwenden. Doc Raymund wird meinen Verwandten behandeln, als ob es sein Verwandter sei. Verwandte bezahlen nichts. Okay. Doch der Doc muß viel Geld für seine Operation nehmen, weil seine Kollegen das von ihm verlangen. Er schwimmt in Dollars. Er wird mir einen Wunsch erfüllen. Verwandte bezahlen nichts. Doc Raymund ist ein freundlicher Mann für alle seine Angestellten, die tüchtig arbeiten. Er glaubt, ich sei tüchtig gewesen; so sagt er.«
    »Gewesen?«
    »Ich verlasse ihn ja jetzt und gehe zu meinem Stamm zurück. – Percival, willst du nur deine Nase in Ordnung bringen lassen oder alle deine Narben und deine Kopfhaut?«
    »Die Nase. Für den Atemzug. Die anderen Narben sind mein Stolz. Ich war bei den Aufständischen im Ring. Deshalb wollten mich die Killer ermorden.«
    Man saß die halbe Nacht beisammen. Nur Hanska war schnell zum Strand gefahren, um die Kinder und den zweiten Wagen herauf zu holen.
    »Kommt morgen alle zu Doc Raymund, des Abends«, schloß Elizabeth. »Er wird sich für euch interessieren. Das ist etwas Neues für ihn. So viele Indianer auf einmal. Keiner betrunken, alle sauber. Schöne Menschen. Menschen, die arbeiten. Seine Kinder werden euch auch sprechen wollen. Sie machen sich Gedanken. Percival bleibt dann gleich bei uns. Aber mit ein paar Wochen mußt du rechnen, Percival, bis die Indianerhaut und die Knorpel verpflanzt und angewachsen sind. So lange bist du mein und Rote Krähes Gast. Du bist unser Bruder.«
    Elizabeth behielt Ite-ska-wih und die Kinder für die Nacht bei sich. Die Männer schliefen wieder in den Wagen. Harry rechnete sich zu den Männern.
    Ite-ska-wih lag bei Elizabeth im bequemen Bett. Sie hörte den regelmäßig werdenden Atem der Einschlafenden und dachte noch, ehe sie selbst einschlummerte: Was für ein Mensch. Sie

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