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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Manchmal sind es nicht einmal Gewichte, sondern Stricke.«
    »Die Zivilisationsnetze«, fügte Ite-ska-wih hinzu, weil sie an Joan Howell dachte.
    »Oder ein Alleinsein«, sagte Percival, als er die Zeit überdachte, in der er durch die Entstellung seines Gesichtes von anderen getrennt war.
     
    Die gewandten Sprünge, mit denen Hanska und Harry Kte Ohitaka im Bachbett, an den Ufern, in natürlichen Waldschneisen zu Beginn der Nacht zurückkehrten, waren schon von weitem zu hören. Sie mußten beide müde sein, aber davon war nichts zu bemerken, wahrscheinlich merkten sie es nicht einmal selbst, da der Erfolg sie beflügelte. Hanska hatte einen alten großen Adler erlegt, ohne Zielfernrohr, mit einem einzigen Schuß, wie einst Inya-he-yukan. Harry hatte ihn zuerst gesehen. Er besaß Vogelaugen, Falkenaugen. Die schönsten Schwanzfedern sollten dem Grab des Ahnen gehören.
    Jubelgeschrei empfing den Jäger.
    Niemand hatte Lust, in dieser Nacht noch zum Abstieg aufzubrechen. Am rauschenden Bach, in der vom Wasserstaub geschwängerten Sommernachtsluft, beim Standquartier des kleinen Fisches lösten und streckten sich Körper und Glieder zum Schlaf.
    Mit dem folgenden Morgen, an dem die Sonne aufwärts stieg, hieß es für die Besucher des Bergtals abwärts gehen. Jeder paßte auf Schritt und Tritt auf, keiner hing einem abschweifenden Gedanken nach, jeder fühlte die Frische und Köstlichkeit dieses Tals, das noch Zeichen und Mahnung war, was der Indianer einst besessen, genossen und geliebt hatte an seiner Mutter Erde.
    Die Begegnung mit dem alten Geheimnismann, die Freundschaft der Familie Collins, das Aufladen von Tschetansapas Zelt schloß den Besuch in Kanada ab.
    Die Motoren sprangen an und surrten leise, während die Fahrt hinunter zur fernen Küste Californias ging.
     
    Das erste Ziel war die große Stadt San Francisco. Schon bei der Einfahrt begann Ite-ska-wih zu vergleichen. Diese Stadt war anders als Chicago, das sie von ihren Kindheitstagen her kannte. Schmutzige und verfallende Zeugen einer überholten Vergangenheit fehlten. Wells Fargo, die Versicherung, deren Beauftragte einmal die Pferdepostwagen zu Pferd mit dem Colt beschützt hatten, kratzten jetzt mit ihrem himmelhohen Bürohaus die Wolken. Die Fabrikgebäude waren sachlich-kalt, die Häuser, in denen sich die armen Leute verkrochen, hatten bei der Ausbreitung im letzten Kolonialzeitalter mehr Platz gefunden. Unmodernen steinernen Prunk gab es auch hier, aber es gab auch Straßen und Treppen zwischen Blumen. Eine Straßenbahn klingelte als Kuriosität bergauf, bergab zum Kai und zurück zum Stadtzentrum. Die Brücken spannten sich gewaltiger, als Ite-ska-wih je eine Brücke gesehen hatte, und zeugten für die Baukunst der Watschitschun. Die Reklamebilder der Gogogirls und der Spelunken, in denen sie auftraten, waren schamlos. Bunte kleine Gemüse- und Obstgeschäfte gab es, in denen fremdartige Männer freundlich verkauften. Einen Strand gab es nicht. Nur viele Cafeterias und Restaurants, Händler mit Fischen, Muscheln und Brot.
    Das alles glitt vorüber, bis Hanska schließlich bei den Piers einen Parkplatz gefunden hatte. Er schloß die Wagen ab und steckte die Schlüssel sorgfältig ein. Man war in die Sphäre allgemeinen Mißtrauens gekommen, nicht eines persönlich geprägten Mißtrauens, sondern einer allgemeinen Ungewißheit gegenüber den Mitmenschen, wie sie in den großen Städten herrschte. Wakiya führte auf die Schiffslandebrücke, die den Blick auf die Insel Alcatraz erlaubte. Da war sie, vom Meerwasser der Bai umspült, vom Bau des alten Gefängnisses, das nicht mehr benutzt wurde, gekrönt. Ungenutzt, einsam mitten im Trubel lag sie da. Die Touristendampfer fuhren darum herum. Die Indianer waren daraus vertrieben. Sie gehörte aber zu dem Land, das ihr Land war. Ite-ska-wih hatte bei einem Fisch- und Ansichtskartenhändler drei alte Ansichtskarten aus den Fächern des Standes herausgekramt. Auf der einen war Alcatraz abgebildet mit dem ironischen Spruch: »Wish you were here«, das konnte bedeuten: »Wünsch dich ins Gefängnis, wo ich sitze«; auf der zweiten war im Himmelsblau der Kopf eines Indianerhäuptlings zu sehen, der Spruch lautete: »Das ist unser Land«. Die dritte zeigte ein Schild: »For sale or lease«, »Zu verkaufen oder zu verpachten«. Die Indianer hätten die unfruchtbare Insel kaufen können, aber besetzen durften sie ihr Eigentum nicht.
    »Daheim müßt ihr Tatokala befragen oder Ken, wenn er wieder einmal

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