Das helle Gesicht
Wie geht es auf der Reservation? Wie man hört, fällt Ihr Killerchief bei der nächsten Wahl mit Sicherheit durch. Das ist das Ende der Killer bei Ihnen. Ausgezeichnet. Aber es gibt weitergehende Pläne. Schon davon gehört? Nein? Ah, Sie sind schon längere Zeit unterwegs. Die Regierung brütet ein großes Ei aus, das schon stinkt, ehe es gelegt wird.« Rencho machte eine Pause. »Ich will Sie nicht verschrecken, aber es ist besser, Sie wissen es vorher, Aufhebung der Reservationen.«
»Was heißt das?« fragte Wakiya, steif, mit halb abgewürgter Stimme.
»Nichtigkeitserklärung aller Verträge, auf die Sie sich mit steigender Intensität berufen haben. Vertreibung vom Reservationsland. Uran, Kohle, Öl und was sich sonst noch auf Reservationsboden befinden könnte, fällt dem Meistbietenden zu. In diese Richtung gehen regierungsseits die politisch-ökonomischen Spekulationen. Sie werden natürlich protestieren…«
»Wir allein?«
»Sie werden Freundesstimmen hören. Alles in allem… lassen wir das. Es ist noch nicht soweit, es wird nur darüber nachgedacht. – Sie müssen jetzt das Nächstliegende in Angriff nehmen. Die Fahrt nach Santa Barbara.«
»Ja, Mister Rencho, die Fahrt nach Santa Barbara.«
Wakiya und Ite-ska-wih erhoben und verabschiedeten sich.
Ite-ska-wihs Hand zitterte. Sie mußte sich zusammenraffen. Sie durfte sich selbst nicht nachgeben. Wakiya-knaskiya war leichenblaß geworden.
Im Quartier schlief Martell Ingalls noch; sie wollten ihn nach der Nachtschicht nicht stören. Frau Sophia stillte ihr jüngstes Kind. Die übrigen Kinder waren dabei, sich untereinander anzufreunden.
Auf einem Wandbrett lag die neueste Nummer der Volkszeitung, die Martell aus dem Nachtdienst mitgebracht hatte. Wakiya nahm sie sich. Ein Artikel war angestrichen. Er trug die Überschrift: »Vertreibung der Vertriebenen? Neue Völkermordpläne«.
Wakiya las und reichte die Zeitung an die anderen weiter. Auch Harry und Mary lasen sie schon ohne Mühe.
Schweigen legte sich wie Frost mitten im Sommer über alle.
Wakiyas Züge wurden blutrot.
»Also auf, Hanska, nach Santa Barbara. Alles, was ein Indianer noch für sein Leben tun kann, muß jetzt gleich getan werden.«
Die kleine Gruppe besuchte auf Martells Rat noch einen alten Indianer. Er hatte ein großes Werk vor sich, er sammelte die Stadtindianer, die zerstreuten, verlorenen, trinkenden, arbeitenden. Sie konnten eine neue Macht werden, eine zweite Macht. Niemand vermochte sie zu vertreiben. Sie standen auf einem letzten uneinnehmbaren Posten im Lärm, zwischen Steinen, umgarnt von Branntwein – aber sie standen noch, und sie konnten sich Rücken an Rücken stellen. Ite-ska-wih, das Kind aus dem dunklen Keller, fühlte sich auf einmal wieder enger mit ihnen verbunden. Aber das Band konnte sich nur von der Prärie aus um sie beide schlingen, die auf der Erde unter der Sonne und die in den Steinschluchten im Staub. Mit Nägeln und Zähnen wollte sich Ite-ska-wih um jeden Grashalm wehren, über den der Fuß ihres Kindes einmal laufen würde.
Dann ging die Fahrt aus der Stadt hinaus. Ite-ska-wih sah weder Fabriken noch Arbeiterhäuser, noch Blumen, noch Villen, noch Krebse, Fische und Ansichtskarten. Sie sah noch Alcatraz. Endlich war auch das entschwunden, aus dem Gesicht und auch aus den Gedanken.
Das Nächstliegende tun. Dann heim und beraten mit Wasescha, mit Morning Star, mit den Indianerführern im Zentrum von New City.
Die Küstenfahrt war lang. Das Meer rauschte in machtvollen Wellen. Kahle ausgetrocknete Berge begleiteten es, in denen noch Berglöwe, Wolf und Kojote hausten; Obstranches gürteten den Fuß der Berge. Alle Bäume waren unfaßbar alt, unfaßbar hoch, unfaßbar umfangreich ihre Stämme. An den Stränden sonnten sich die weißen Einwohner und die Touristen. Schön war das Land, fruchtbar; feuchte Nebel zogen umher und schützten vor der Sengeglut der Sonne.
Hanska, Percival, Wakiya und Ite-ska-wih fuhren an einer einzigartigen Küste vorbei, aber sie dachten zunächst an ihre Abschiedsgespräche in San Francisco, nicht an das mit Rencho, dem Freund, der in einer anderen Sphäre lebte, sondern an das mit jenem alten Indianer.
Santa Barbara wurde erreicht. Die Gedanken an die Ferne rissen ab, das Nahe rückte noch näher. Rencho hatte versagt. Es war nicht seine Schuld, daß Doc Raymund auf den Philippinen seinen Urlaub genoß und daß er zu einer Tagung nach New Orleans fuhr. Aber Rencho hatte auch jetzt keine empfehlende
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