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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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jetzt anzuhören? Für deinen schnellen Wagen ist der Weg nicht weit.«
    »Denken Collins und der Medizinmann wie du, Vater Beaver?«
    »Nicht ganz.«
    »So fahre ich heute mittag ab, um sie zu sehen und anzuhören. Ite-ska-wih nehme ich mit und den ältesten Bub, den Achtjährigen.«
    »Du willst Ite-ska-wih zur Frau nehmen?«
    »Eines Tages – ja.«
    »Du hast gut gewählt. Sie trägt den Namen ihrer Urgroßmutter. Bei uns ist der Ursprung ihres Geschlechts. Sie ist uns also nicht fremd. Sie kehrt zurück.«
    »Zu unserer Lebensweise. Ja.«
     
    Als Ite-ska-wih mit ihrem achtjährigen Schützling zu Hanska in den Wagen stieg, war ihr wie neugeboren zumute. Der Himmel klarte auf. Die nasse Prärie, das nasse Laub glänzten. Das Vieh sonnte sich.
    »Beinahe dreihundert Rinder«, erklärte Hanska. »Das ist hier eine mittlere Ranch.«
    Einsame Wiesen glitten am Auge vorbei. Die unbefestigten Straßen waren aufgeweicht, aber ohne besondere Schwierigkeiten befahrbar. Hanska konnte mit Wagen und Weg spielen. Ite-ska-wih beobachtete, verborgen und scheu, wie Hanskas Züge aufklarten wie der Märzhimmel. Der Kummer, der ihn bedrückt haben mußte, schien zu schwinden. Ite-ska-wih wußte nichts von dem, was Hanska mit Vater Beaver gesprochen hatte. Es war ihrem Gefühl überlassen, ihre Stimmung mit der Hanskas im Einklang schwingen zu lassen. Sie fuhr mit ihm zusammen wieder einem neuen Erleben entgegen. Sie fuhr mit ihm durch die Prärie, durch das Land des Indianers, ganz gleich, wer jetzt darüber zu herrschen meinte. Wie groß war dieses Land, wie weit, wie wunderbar die Mutter Erde, wer durfte sie zerreißen, beschmutzen, berauben? Niemand. Es war Frevel, aber hier in der Unendlichkeit der braunen, auf den Frühling hoffenden Wiesen war er noch nicht geschehen.
    Über Ite-ska-wihs Antlitz lag ein heller Schimmer des Sonnenspiels. Der Bub auf der Rückbank rührte sich. Die entsetzenerregenden Eindrücke, die ihn lange stumm und sein Gefühl starr gemacht hatten, wurden gnädig überdeckt von der Hoffnung in der Natur und der Erwartung großen Geschehens. Vom Lande der Adler, der Bären und der Elche hatte der Junge daheim schon viel gehört. Er dachte daran, wie Mutter Queenie Tashina und Vater Joe Inya-he-yukan in dem großen Tipi neben dem Blockhaus davon erzählt hatten, seine Eltern waren ihm dabei kein bloßes Erinnern. Sie begleiteten ihn jetzt auf seinem Weg in das noch Unbekannte.
    Am Horizont erschienen blendend glitzernde Streifen; ihre Konturen wurden deutlicher; es waren die noch vom Schnee bedeckten Gipfel des Felsengebirges, zu dem die Prärien langsam aufstiegen. Der Wind wurde noch kälter. Als die Sonne blutig rot leuchtete, begann er zu pfeifen und in die Haut zu schneiden.
    An einem Parkplatz war Hanska vorbeigefahren. Auf diesem Parkplatz war ein junger Kri-Indianer ermordet worden, nur, weil er und sein Freund gewagt hatten, da zu parken, wo weiße Rowdies das Revier beherrschten. Das Gedenken daran lud nicht dazu ein, haltzumachen. Joe Inya-he-yukan hatte den Ermordeten kurz vorher kennengelernt und wußte, wer der Mörder war; er hatte nie vergessen, daß er ihn eines Tages bestrafen wollte.
    »Die Killer«, sagte Hanska. Mehr sagte er über den Mord nicht. Über das, was er dabei dachte, brauchte niemand im Zweifel zu sein. Er fügte jedoch hinzu: »Aber Vater Beaver schweigt und will weiter schweigen.«
    Am folgenden Tag gelangte der Jaguar zur Ranch der Familie Collins. Sie war bei weitem größer als die der Beavers. Ringsumher auf den ausgedehnten Wiesen weideten 700 Rinder und eine Herde noch ganz verspielter Bucking Horses. In den Ställen grunzten Schweine.
    Auch Collins und seine Frau Evelyn hatten den Jaguar schon von weitem erkannt. Sie waren zu Pferd bei ihren Herden unterwegs gewesen und galoppierten zur Straße herbei, um Hanska, das Mädchen und den Jungen zu begrüßen. Selbstverständlich wurde der Sohn Inya-he-yukans Gast seiner Freunde aus dem Stamm der Blood-Blackfeet und mit ihm Ite-ska-wih und das Kind.
    Ite-ska-wih war sehr verwirrt. In der großen Stadt, in der sich ihr Leben bis dahin abgespielt hatte, gab es viele sehr arme Indianer, einige mit mäßigem Einkommen und vier reiche, von denen zwei für das Indian Center gespendet hatten. Zum Tanz kamen diese aber nicht, außer dem einen Mal, als ihre Spende gefeiert wurde. In Ite-ska-wihs Bewußtsein waren die sehr armen Indianer ihre Brüder und Schwestern, die reichen führten ein Leben für sich. Nun aber begegnete

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