Das helle Gesicht
den Aufständischen unterwegs waren. Aber Hanska fuhr nicht zu ihnen hin, sondern von ihnen weg in nördliche Richtung.
Trotzdem wurde er gestoppt und kontrolliert.
Es spielte sich an der Eingangssperre zu dem Naturschutzgebiet in den Black Hills ab. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren war hier nicht nur der Wächter postiert, sondern mit ihm auch zwei Polizisten. Hanska wußte warum. Es wurde befürchtet, daß die Dakota versuchen würden, die Black Hills zu besetzen, die der Kern ihres ehemaligen Stammesgebietes und ihnen beim Friedensschluß von 1868 vertraglich zugesichert worden waren.
Ein Polizist trat an den Wagen heran. Er war nicht so menschenfreundlich gestimmt wie jene ersten Kontrollposten auf der langen Fahrt, aber er gehörte auch gewiß nicht zu den Killern auf der Reservation.
»Indianerpaß?«
»Ja.«
»Zeig her.«
Hanska hatte den Indianerpaß seines Wahlvaters bei sich, der zur freien Bewegung in USA und Kanada berechtigte.
Der Polizist verglich Photographie und Aussehen.
Hanska und Ite-ska-wih waren abgemagert; sie hatten dunkle Ringe um die Augen, ihre Wangen waren eingefallen. Ihr Ausdruck war ernst; Hanska wirkte finster, Ite-ska-wih schwermütig. Sie sahen beide wesentlich älter aus, als sie waren. Das Geburtsdatum seines Wahlvaters konnte in diesen Tagen für Hanska gelten. 30 Jahre – ja, mochte sein.
»Wohin?«
»Zu unseren Verwandten nach Kanada.«
»Warum?«
»Damit die Kinder erst mal zur Ruhe kommen. Schule haben sie dort.«
Die Kinder selbst und Ite-ska-wih blieben regungslos wie Tiere, die der Aufmerksamkeit des Jägers zu entgehen versuchen.
»Immer ab mit euch!«
Hanska konnte weiterfahren.
Die Märzluft und die Erde waren feucht und kühl, voller Kraft des Werdenden, noch Unsichtbaren. Die Knospen der Sträucher, der Laub- und der Nadelbäume waren wie über Nacht dicker geworden, sie reiften zum Aufspringen heran. Aus dem Boden keimte neues Gras. Ite-ska-wih beobachtete einen fliehenden Hirsch. In der frühen Jahreszeit kamen noch kaum Touristen. Das Wild bewegte sich unbesorgt und war überrascht, wenn Besucher auftauchten. Das junge Mädchen schaute dem jungen Tier nach, folgte mit dem Blick dessen Sprüngen in ihrer übermütigen Leichtigkeit. Sie hörte zum erstenmal in ihrem Leben das dumpfe Brüllen, das durch die Glieder ging: den Ruf der Büffel. Über Hanskas Züge huschte ein schüchternes Lächeln und erlosch wieder. Er fuhr die Straße hinauf zu dem begrasten Plateau, auf dem die Büffel weideten und lagerten, die mächtigen Tiere im dunklen Fell, das die Hörner fast verbarg. Hanska mußte sich bezwingen, um nicht zu weinen; er dachte an Erzählungen von dem Tag, an dem Inya-he-yukan der Jüngere und Inya-he-yukan der Alte die Büffel wieder in die Stammesprärie gebracht, und an den Tag, an dem sie auf Befehl der Verwaltung abermals daraus vertrieben worden waren. Damals war Hanska als Bub mitgeritten; der Riß, den es in ihm gegeben hatte, war nie ganz vernarbt. Den Leitstier der King-Herde hatte Joe Inya-he-yukan in jener Nacht erschießen müssen, er hätte sich nicht treiben lassen. In der Haut dieses Stieres ruhte er jetzt im Berg; er hatte sich gewünscht, daß sie ihn einmal in sein Grab begleiten möge. Queenie Tashina hatte sie gegerbt, Joe Inya-he-yukan sie selbst bemalt.
Hanska hielt an, ließ aussteigen und setzte sich mit Ite-ska-wih und den Kindern zusammen. Er erzählte ihnen inmitten der Berge, der Tiere und der Pflanzen von allem, an was er selbst dachte, wie Joe Inya-he-yukan King ihn und seinen Bruder Wakiya nach Kanada zu den Verwandten mitgenommen hatte und auch zu der. Blackfeet und ihrem Jagdgebiet, zu Adler, Bären und Elchen. Viel gab es zu erzählen; er konnte nicht alles auf einmal berichten. Die Reise war ja noch lang.
Ite-ska-wih hatte ebenso wie die Kinder gelauscht. Sie dachte nicht in Worten; sie dachte in Bildern, farbkräftigen Träumen. Zwar wußte sie Worte zu meistern, wenn sie lange überlegte, aber sie sprach doch nur selten. Im Keller in der Stadt hatte sie oft tage- und wochenlang geschwiegen; in der Schule hatte sie nur selten geantwortet und nur, wenn sie ganz sicher war, denn sie fürchtete Spott und Tadel; sie war ja nichts als ein dürres Indianerkind aus den Slums. Aber die Großmutter wußte zu erzählen, und Ite-ska-wih kannte viele Sagen und Mythen, von denen sie nur niemals selbst sprach. Sie kannte sie, als ob sie sie selbst erlebt hätte, und neu erlebte sie Wald und Prärie und Hanska,
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