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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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unserem Geheimnismann beraten? Der damals Inya-he-yukan, als er in den Sumpf geraten war, von seinen schweren Verletzungen heilte, und der dich, Bärenseele, richtig erkannt hat?«
    »Ich will. Ich will auch noch einmal mit dem Geiste meines Wahlvaters Inya-he-yukan sprechen auf dem gleichen Wege, den er mit meinem Bruder Wakiya und mir gemacht hat, als wir noch Knaben waren, und den unser Ahn Inya-he-yukan der Alte vor mehr als hundert Wintern mit seinem Freunde Stark wie ein Hirsch, einem Sohn aus eurem Stamm, gegangen ist. Ich will mehr darüber erfahren, warum unsere Stämme nicht gemeinsam kämpfen wollen.«
    Nun senkte Collins die Augen, sagte aber: »Ihr werdet also den Weg in unserem Jagdgebiet, im Lande der Adler, der Bären, der Elche gehen, und ihr werdet mit unserem Geheimnismann sprechen. Hau.«
     
    Die Fahrt begann am Morgen im ersten Schimmern der Dämmerung. Die Wiesen waren naß, das Vieh unzufrieden, aber die Schneehäupter der Berge lagen frei unter hohen Wolken; Sonnengold flutete darüber; sie rückten näher und wuchsen für das Auge höher, gewaltiger, ein neues fremdes Revier. Ite-ska-wih tauchte ein in die Wunder ihrer grenzenlosen Heimat, in den Zauber der Mutter Erde.
    Als es Abend wurde, saßen Hanska, Ite-ska-wih und der Bub vor dem kleinen Jagdzelt, das Collins ihnen mitgegeben hatte. Es war vor dem Bach aufgestellt, den Evelyn beschrieben hatte. Das Wasser klickerte über den roterdigen Grund, einziges Geräusch in der vollkommenen Stille. Die goldgelb brennende Sonne haschte nach ihrem Spiegelbild im durchsichtigen Gewässer. Der Bub sammelte Kiesel. Ite-ska-wih und Hanska erhoben sich und gingen noch am Ufer auf und ab, bis die Helle schwand und die Schatten der Nacht Handbreit um Handbreit herankrochen, bis sie das Licht verschlungen hatten. Die Sonne starb. Die Gipfel wurden schwarz. In der großen Stille rührten sich geheimnisvolles Knacken, verborgenes Rascheln.
    Die drei gingen in das Zelt, Ite-ska-wih nahm den Buben zu sich; der Schlaf überfiel die jungen Menschen mit sanfter Gewalt.
    Hanska kannte noch den Pfad in die ansteigenden Bergwälder. Ite-ska-wih und der Bub folgten ihm. Bald verlor sich der Pfad ganz; es blieben nur noch Spuren für den Kundigen. Hanska hatte das Beil in der Hand, um Weg zu schaffen. Starke Zweige bog er zurück. Die Füße fühlten die weiche feuchte Erde, die verholzten Wurzeln und die Steine, an denen sie Halt fanden. Hanska nahm Rücksicht. Er ging nur so schnell, wie das Mädchen und der Bub ihm ohne große Anstrengung folgen konnten. Die drei liefen, stiegen, kletterten uferaufwärts. Die große Stille wurde Musik durch den Gesang der Vögel und das Lied des Baches, das er seit aber Tausenden von Jahren für sich selbst rauschte. Wind und Wasser, Berge und Bäume waren die Gefährten der Wandernden.
    Nach vieler Mühe gelangten sie an einen köstlichen Platz. Der Bach hatte in seinem Bett aus Fels gegraben. Von Stufe zu Stufe sprühte er in kleinen Wasserfällen herab und bildete regenbogenfarbene Schleier, grün, rot, blau. An einer breiten Stufe, auf der sich etwas Sand angesammelt hatte und über die die Fährte eines Wildwechsels führte, machte Hanska halt. Er erklärte Ite-ska-wih und dem Jungen die breite Elchspur.
    Es war ein guter Rastplatz. Alle drei zogen die Schuhe aus und wateten in dem eiskalten Wasser, um sich zu erfrischen. Selbst in der märzkalten Luft war ihnen der Schweiß ausgebrochen im schnellen Aufstieg. Nun ruhten sie aus, atmeten Duft bis tief in die Lungen und ließen ihren Gedanken freien Lauf. Sie sagten dabei kein Wort zueinander, denn ein jeder dachte für sich.
    Ite-ska-wih war die einzige der drei Wanderer, die die Stadt als Lebenskreis kannte, nicht nur als durcheilender Besucher. Jetzt, mitten in der Freiheit, packte sie das Grauen, fiel es sie an wie ein Luchs, der seine Beute im Nacken schlägt. Die Stadt war gewachsen und gewachsen, seit sie denken konnte; ihr Schmutz und ihr Gestank, ihr Lärm und ihre Hast breiteten sich aus und hielten die Menschen gefangen. Wann würde sie bis hierher kommen, wo Mutter Erde noch ihr Reich hatte? Wann würde sie herankriechen, wie die Schatten am vergangenen Abend herangekrochen waren, und wieder Duft und Grün, Quellwasser und Fels verschlingen, mit ihrem Staub bedecken und begraben? Ite-ska-wih fürchtete sich vor dem Feind, der hinter ihr herschleichen konnte. Die Stadt war selbst ein Killer. Aus dem Nährboden der Stadt erwuchsen die Killermenschen und kamen schon

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