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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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die Flammen sich weiter. Die Funken stoben schwefelgelb und blutrot, sie tanzten Wirbeltänze in der Nacht und sanken; die Balken flammten, glühten, verkohlten schwarz wie die Nacht. Die lohende Fackel, der Turm, brach zusammen. Das Knistern und Knacken wurde vom Getöse des Berstens übertönt.
    Ite-ska-wih erreichte mit Hanska und Krähe zusammen die Belagerten, die die brennende Kirche in weitem Kreise umringten. Sie hockten und lagen am Boden, wollten nicht von dem Feuerlicht erreicht werden, in dem sie ein allzu gutes Ziel für den Feind abgaben. Keiner sprach. Was sich vor ihren Augen und Ohren vollzog, war Wunder und Schauer. Wie seit Jahrhunderttausenden das Feuer unheimlich und großartig, verderbenbringend und lebenerhaltend auf Menschen gewirkt hat, so stand jetzt die Flamme wieder vor ihnen, und sie standen ohnmächtig davor. Ite-ska-wih hatte, ebenso wie ihre Brüder, in der Schule gelernt, daß ein Feuer kein Zauber, sondern ein chemischer Prozeß sei, den man verstehen und regeln könne; sie glaubten, das verstanden zu haben, aber wenn sie jetzt in die Glut schauten, in der die kleine weiße Kirche versank, in der sie zu Asche wurde, zu einem grauen Etwas, das sich mit der feuchten Erde vermählen und bald verschwunden sein würde, so wußten sie nichts mehr von Schulbank, Lehrer, Stock und Formeln, auch nicht von Ofen, Herd und leise knisterndem Holzfeuer im Tipi, sondern nur noch von etwas, was geheim war, groß und drohend, Vater Feuer über der Mutter Erde. Die Belagerten dankten dem Regen, der Gras und Erde naß gemacht hatte; das Feuer fraß nicht weiter und konnte nicht zu einem der Präriebrände werden, die mit ihrem chemischen Prozeß alle Lebewesen entsetzt in die Flucht trieben und Menschen und Tiere, Gras und Baum zu Kohle machten. Das Haus am Bach, Hetkala mit den Pferden, jenes kleine Blockhaus der Kings im Tal der Weißen Felsen blieben unberührt in Nebel und feuchtem Wind, unsichtbar in der Dunkelheit, nicht bedroht.
    Allmählich näherte sich einer der Umstehenden nach dem andern der Brandstelle, fischte sich glühendes Holz heraus und machte sich aus schwindenden Vorräten eine ersehnte kleine warme Mahlzeit.
    Hanska hatte Wasescha entdeckt, den indianischen Lehrer und letzten Häuptling vor dem Killerchief, Vetter und Freund Inya-he-yukans, neben ihm seine Frau Tatokala. Bei ihnen packten er selbst, Ite-ska-wih und Krähe im Freien aus, was sie in ihren Beuteln für die Belagerten mitgebracht hatten. Unterdessen verglühten die Balken, und nur hin und wieder schoß noch eine Feuergarbe hervor.
    Wasescha, ein großer Mensch von auffallender Familienähnlichkeit mit Joe Stonehorn, verteilte sogleich Medikamente für die Kranken, Verbandszeug für Verletzte, Bohnen, Speck und Brot für die Hungernden. Es war viel zu wenig, und doch war es mehr als eine Gabe, die man brauchte; es war Bruderliebe, Aufrechtbleiben, es gab Mut.
    Tatokala, deren magere, sorgengequälte, aber unnachgiebig wirkende Züge einmal in einem Feuergeflacker sichtbar wurden, umarmte Ite-ska-wih lange, fest, beinahe heftig. Helles Gesicht hatte Medikamente und Kräuter mitgebracht für Gerald, Tatokalas Bruder, der von schweren Herzanfällen gequält wurde. In seiner Gefängniszeit hatte er sich dieses Leiden zugezogen; bei Hetkala und auf der King-Ranch hatte es sich gebessert, nun warf es ihn wieder nieder. Aber nichts hatte ihn davon abbringen können, mit in den Ring zu gehen, und wenn es ihn das Leben kosten würde. Er wollte bei seinem Volk sein, wenn es sein Recht verlangte.
    Ite-ska-wih war noch benommen. Sie ging, als ob sie nicht sie selbst sei, mit Hanska, Krähe, Wasescha und Tatokala zwischen den Belagerten umher. Es war ein Geschwirr um sie von leisem Sprechen, hin und wieder einem Ruf, einem Bewegen in langsamen und schnelleren Schritten. Man ordnete sich neu, da die Kirche als Unterkunft verloren war. Es gab sonst nicht viel brauchbare Herberge.
    Ite-ska-wih hatte verstanden, daß am nächsten Tag eine Beratung stattfinden sollte. Die Männer waren bereit, auf den Geheimnismann Crow Dog zu hören.
    Waseschas, Tatokalas und Geralds Behausung war ein Hüttchen aus Wellblech und Brettern. Sie nahmen die drei Ankömmlinge für den Rest der Nacht bei sich auf. Die Wolken am Himmel verzogen sich im aufspringenden Wind; es wurde noch kälter als in den vergangenen Märznächten. Die Sterne glänzten klar, ehe sie im ersten Morgendunst erloschen. Tatokala schlug ihre Decke mit um Ite-ska-wih. Das Mädchen

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