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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zitterte in Frostschauern, die von innen kamen. Es war fast über ihre Kraft gegangen bei dem Durchschleichen des Belagerungsringes; es war eine ungewohnte Aufgabe gewesen, auf die sie nur kurz vorbereitet worden war. Jeder Fehler, den sie etwa machte, hätte nicht nur sie selbst, sondern auch Hanska und Krähe in Lebensgefahr gebracht. Nachdem alles geglückt war, fiel sie in sich zusammen, ohne jedoch Schlaf zu finden. Die Erinnerung an den Augenblick, in dem die Entdeckung durch die Patrouille gedroht hatte, und an den Anblick des Feuers, die Begegnung mit den Belagerten, das Wissen, nun im innersten Kreis des Widerstands sein zu dürfen zusammen mit Hanska-Mahto und Rote Krähe, ließen ihre Nerven immer wieder aufwogen wie Wellen unter dem Wind.
    Sie war bei den Aufrechten, bei den Männern, die sich von keiner Furcht überwältigen ließen, sie war bei dem Geiste Inya-he-yukan Stonehorns, unter seinen Augen; ein Kind der Großen Bärin war sie geworden und die künftige Frau des jungen Mannes mit der Bärenseele.
    Hanska schlief schon. Rote Krähe lag still mit offenen Augen. Gerald war ruhig geworden nach seinem beinahe tödlichen Anfall. Wasescha fühlte von Zeit zu Zeit nach dem Herzschlag des Kranken. Über Ite-ska-wih begann sich die beste Decke zu legen, die Decke der Ruhe, die Decke der Gewißheit, daß sie da sei, wo sie hingehörte. Einen Tag hatte sie Zeit, bei denen zu bleiben, die sie mit Hanska zusammen gesucht hatte. In der nächsten Nacht sollte sie sich mit Tatokala und zwei jungen Frauen namens Alice und Melitta Thunderston zusammen hinausschleichen, um mit neuem Proviant wiederzukommen. Die Rinderherde, die die Belagerten in der ersten wirren und dadurch leichteren Zeit zu sich hereingetrieben hatten, war längst geschlachtet und aufgegessen.
    Ite-ska-wih schlief ein.
    Sie schlief nicht lange. Als sie erwachte, hörte sie einen unerwarteten Ton. Wasescha hatte sein kleines Radio angestellt. Alle zusammen lauschten. Der Zorn machte sie noch wacher. Es wurde im Lande verbreitet, daß die Belagerten die Kirche selbst in Brand gesteckt hätten. Brandstifter waren sie, Kirchenschänder. Sie gehörten hinter Gefängnismauern.
    »Die andern haben es getan«, Tatokala war sehr bitter. »Wenn wir nur erst sagen könnten wie.«
    Wasescha eilte hinaus, um zu besprechen, auf welche Weise man den Verleumdungen am raschesten begegnen könne.
    Unterdessen waren einige Männer dabei, Schutt zu räumen. Der Keller der Kirche bestand noch. Er war jetzt nach oben offen. Der Himmel schaute hinein, kalter Wind fing sich darin. Aber man konnte da Schutz finden, wenn geschossen wurde oder wenn man aus anderen Gründen vom Feind nicht gesehen und nicht gezählt werden wollte. Draußen brauchten sie nie zu wissen, wieviel Frauen und Mädchen des Nachts wieder als Boten den Ring durchbrochen hatten.
    Fremde, Ungeübte kamen längst nicht mehr durch die Absperrung. Aber die Ätherwellen ließen sich auf ihren Wegen weder von Geweben noch von automatischen Maschinengewehren behindern.
    Was sie für einen Aufwand treiben, um uns abzusperren, die Watschitschun und Milahanska, dachte Ite-ska-wih. Diese zwei Wörter Dakota hatte sie mit einigen anderen Wörtern zusammen schon gelernt. Was für einen Aufwand! So viel schwer bewaffnete Polizei. Als ob sie Räuber und Mörder gefangenhalten müßten. Wir aber wollen nur unser Recht und die Verträge, die sie beschworen haben. Wir bleiben hier, bis sie eingestanden haben, daß wir im Recht und die alten Verträge heilig sind. Aber was ist solchen Menschen überhaupt heilig? Sie sind auch nicht anders als die schlimmsten Gangster in der großen Stadt. Vielleicht fällt es ihnen eines Tages ein, uns zusammenzuschießen, wie sie unsere Ahnen zusammengeschossen haben. Hanska sagt, diese Zeiten sind vorbei. Einen Massenmord vor den Augen der ganzen Welt gibt es nicht. Wer weiß? Aber dann möchte ich im Ring bei Hanska sein, nicht draußen. Nur nicht zusehen müssen, eher mit sterben.
    Ite-ska-wih traf sich mit Tatokala und Alice in dem offenen Kirchenkeller. Sie hockten eng gedrängt beieinander, um zu besprechen, wie sie in der kommenden Nacht vorgehen wollten. Ihr geplanter Gang war noch wichtiger geworden, da bei dem Kirchenbrand Vorräte zugrunde gegangen waren.
    »Es ist aber sicher, daß sie jetzt noch schärfer auf uns aufpassen werden. Sie wollen uns niederzwingen«, sagte Alice. »Wie wollen wir uns einteilen? Ich denke, wir gehen getrennt, damit sie uns nicht alle auf

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