Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Mondschatten in den Bodenwellen sein Spiel weitertreiben würde. Hanska lag neben ihr am Boden und beobachtete mit ihr. Das Mädchen und die beiden Frauen waren auf drei Richtungen verteilt; an der vierten Seite stifteten ein paar Männer Unruhe, die die Aufmerksamkeit der Belagerer auf sich ziehen sollte.
    Ite-ska-wih faßte als erstes Ziel den entblätterten Strauch ins Auge, mit dem sie in den Ring hereingekommen war. Als Hanska ihr das Zeichen gab, begann sie sich am Boden entlang zu winden. Die Ablenkungsmanöver wurden mit zwei Schüssen verstärkt.
    Ite-ska-wih erreichte den Strauch und begann sehr langsam und vorsichtig damit weiterzukriechen. Da diese Sträucher von jedem Luftzug weitergewirbelt wurden, konnte es niemandem auffallen, wenn sie den Ort veränderten.
    Ite-ska-wih hatte ihren Gang mit mutig bezwungener Angst begonnen. Mit jedem Meter, den sie unentdeckt vorankam, wurde sie sicherer, obgleich die Gefahr wuchs, je näher sie dem Belagerungsring kam. Sie wollte durch, sie mußte durch, sie würde durchkommen.
    Ite-ska-wih kam aus dem offenen Gebüsch hinaus in den Schutz der Gesträuchgruppe, die sie kannte. Sie horchte, aber sie hörte nur das Klopfen des eigenen Herzens.
    Also weiter.
    Das Ablenkungsmanöver schien Erfolg zu haben. Ite-ska-wih fühlte sich unbeobachtet.
    Hatte sie die letzten Posten schon hinter sich?
    Sie blieb liegen, um alle ihre Sinne spielen zu lassen.
    Nichts.
    Sie verhakte den losen Strauch.
    Da stand er im Nachtschatten vor ihr, die Maschinenpistole bereit. Es gab kein Ausweichen mehr.
    »Hallo, Miss Indian!«
    Ite-ska-wih war aufgesprungen und versuchte, einfach weiterzugehen.
    »Stop.« Die Maschinenpistole war auf sie gerichtet. Sie hatte einen Sergeant vor sich.
    »Hallo!« rief sie so laut, wie ihr die Stimme noch gehorchen wollte. »Was wollen Sie? Mädchen einfangen? Schämen sollten Sie sich.«
    »Nicht so ganz, kleine Miss. Was tun Sie hier in der Nacht bei den Soldaten?«
    »Soldaten? Ist hier Krieg? Bad boys seid ihr, schlechte Kerle! Ist das eine Arbeit für einen Amerikaner? Herumliegen, ein paar Indianer aushungern, Frauen fangen, in die Luft ballern – laßt mich laufen und geht nach Hause. Das ist besser.«
    Der Sergeant lachte.
    »Nettes Mädchen mit scharfer Zunge! Warst du bei deinem Liebsten? Lauf, lauf! Aber komm nie wieder! Es könnten hier ein paar Appetit auf dich haben.«
    Ite-ska-wih zögerte eine Sekunde. Wenn sie ihm den Rücken drehte, konnte er sie von hinten erschießen.
    Sie wagte es und lief. Sie rannte, sie stolperte, sie fiel, sie war wieder auf.
    Wie sie bis zu Hetkala und den Pferden gekommen war, wußte sie später selbst nicht mehr. Aber sie erinnerte sich, wie Hetkala sie in die Arme nahm und vorsichtig zu Boden legte, bis ihr keuchendes Atmen sich beruhigte, wie sie bald wieder aufstand und auf den Schecken kletterte.
    Der Hengst warf sie nicht ab, was ein leichtes für ihn gewesen wäre, aber er ging mit seiner Reiterin durch, und sie konnte nur versuchen, oben zu bleiben, wenn sie das Pferd nicht verlieren wollte. Sie verlor die Steigbügel, die nicht auf die für sie passende Länge eingestellt waren, und hing schließlich vor der Brust des Hengstes, die Arme und Beine um seinen Hals geschlungen. Die Gegend, durch die das Tier raste, war ihr in ihrer Lage und zudem in der Nacht kaum bewußt. Krampfhaft hielt sie sich am Hals fest.
    Einmal hielt der Hengst an. Ite-ska-wih erkletterte wieder seinen Rücken. Sie begriff, daß sie sich auf einer ansteigenden Wiese neben einem alten kleinen Blockhaus befanden; der Blick ging von da über ein Tal zu Hängen, die im Licht der Mondsichel weiß schimmerten. Männerstimmen brüllten, Reiter mit Lassos erschienen wie Nachtgespenster. Der Hengst stieg und stieß einen schauderhaften Schrei aus, als ob er von Wölfen angegriffen werde. Dann trieb er sein Kampfspiel mit den Verfolgern. Die Männer schrien, das Mädchen solle anhalten oder abspringen, aber Ite-ska-wih klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an der Mähne fest.
    Der Hengst wagte den Durchbruch durch den Ring seiner Verfolger. Er sprang den Hang hinunter wie ein wilder Mustang, gelangte auch an den schnellsten seiner Feinde vorbei und verschwand in den Schatten der Nacht. Das Gepolter seiner Hufe verklang für die von der King-Ranch. Ite-ska-wih wußte nicht, wohin er nun mit ihr galoppieren würde. Doch als es heller Morgen war und sie schweißüberströmt, halb ohnmächtig, aber die Hände noch immer an der Mähne

Weitere Kostenlose Bücher