Das helle Gesicht
einmal fassen können.«
»Ite-ska-wih, findest du den Weg zurück, den du gekommen bist – allein?« fragte Tatokala.
»Ich finde ihn. Es ist ein guter Schlupf. Inya-he-yukan Stonehorn hat ihn ausfindig gemacht.«
Die beiden anderen schauten freundschaftlich auf Helles Gesicht, als sie den Namen Stonehorn fast andächtig nannte. »Du hast ihn gesehen?«
»Ich habe ihn sterben sehen.« Ite-ska-wih bedeckte das Gesicht. Auch die beiden andern schwiegen lange. Ite-ska-wih schien ihnen mehr zu sein, als sie selbst waren, nicht aus eigenem Verdienst oder eigener Kraft, sondern weil sie den Blick des Sterbenden bewahren durfte.
»Nun ist diese Kirche weg«, sagte Ite-ska-wih auf einmal. »Gestern war sie noch da.«
»Die Kirche ist nicht wichtig, wie die Weißen uns glauben machen wollen«, sagte Alice. »Ihr Holz brennt auch.«
»Zu Asche«, antwortete Tatokala nachdenklich. »Aber die bösen Taten der Watschitschun brennen ohne Unterlaß, auch wenn sie sie mit Asche bedecken möchten. Sie haben sie nicht wiedergutgemacht.«
»Sie wollen nichts wiedergutmachen, weil sie zu habgierig sind«, sagte Alice zornig.
»Die Kirchen haben uns aber auch Geld gegeben, um einige unserer Gefangenen freizukaufen. Wasescha hat es mir gesagt. Die Christen sind nicht alle schlecht. Wie denkst du, Ite-ska-wih?«
Ite-ska-wih überlegte lange, was sie auf Tatokalas Frage antworten solle. Sie kannte nur wenige Menschen und wußte nicht viel von der Welt. Wie sollte sie etwas Rechtes sagen? In der großen Stadt waren einmal zwei junge Männer in Ite-ska-wihs Keller gekommen. Sie hatten etwas zu essen gebracht, auch Eintrittskarten für ein großes Sportfest für Ray, und hatten manches erzählt, was Ite-ska-wih nicht verstand. Aber daß sie Christen sein wollten, hatte das Mädchen aus ihren Worten entnommen. Der eine von ihnen war später totgeschlagen worden, weil er einen jungen Burschen aus einer Gang hatte herausholen wollen.
»Es sind nicht alle schlecht«, bezeugte Ite-ska-wih. »Aber die Macht haben die Schlechten. Die anderen werden eher totgeschlagen.«
Die drei blieben noch eine Weile zusammen, dann machten sie sich auf, um überall zu helfen, wo sie gebraucht wurden.
Ite-ska-wih blühte auf. Es war eisig kalt im Wind, aber es wurde ihr warm um das Herz, weil alle, so verschieden sie auch waren und dachten, das Gemeinsame fühlten und wollten. Die zweifelnden, von Furcht um den Ausgang des Vorhabens angefressenen Männer und Burschen hatten sich längst wieder hinausgeschlichen. Wer jetzt noch da war, der stand fest. Ite-ska-wih begann sich so kräftig zu fühlen wie noch nie. Hin und wieder begegnete sie Hanska-Mahto. Die beiden grüßten sich mit den Augen.
Rote Krähe saß bei Gerald. Er wirkte mit seiner großen Ruhe auf den Kranken ein, der im Schlaf lächelte.
Der Tag senkte sich zum Abend. Die Sonne wurde schwach; die Himmelsgrenze glänzte gelb. Ite-ska-wih, Tatokala und Alice machten sich für ihren gefährlichen nächtlichen Gang fertig. Hanska beobachtete schon seit zwei Stunden genau, was sich von den Vorgängen bei den Belagerern an der Stelle erraten ließ, an der sich Ite-ska-wih hinauswagen wollte.
»Was wirst du sagen, wenn sie dich abfangen?« fragte er Helles Gesicht.
»Daß ich Sehnsucht hatte, meinen Liebsten zu sehen.«
Hanska lächelte – wurde aber wieder sehr ernst. »Wenn dich einer anpackt?«
»Im Großen Tipi haben auch wir Mädchen Karate gelernt. Die Polizei vermutet das nicht. Einen kann ich überraschen und wegjagen. Dann muß ich flüchten.«
»Ja, Ite-ska-wih.«
Hanska hatte eine Decke umgeschlagen. Er öffnete sie und nahm Ite-ska-wih darunter an seine Brust. Das war seine indianische Art, dem Mädchen seine Liebe zu zeigen. Sie legte den Kopf an seine Schulter und wußte für diesen Augenblick nichts anderes mehr, als daß sie Hanskas eigen sein würde.
Eines Tages, eines Nachts, wenn die Tapferen gesiegt hatten.
Die äußeren Umstände waren für einen heimlichen Gang in dieser Nacht weniger günstig als in der vergangenen. Der Wind wollte keine Wolken mehr bringen; die Sterne leuchteten klar, der Mond zog auf. Es war, als ob Himmel und Prärie sich in ihrer nächtlichen Pracht zeigen wollten. Aber wer nicht mit Bewunderung, ja Ehrfurcht vor der Größe des Außerirdischen beschäftigt war, sondern eine sehr genau festgelegte Aufgabe zu lösen hatte, bei der er keinen Lichtstrahl gebrauchen konnte, hegte gespannte, unzufriedene Gefühle.
Ite-ska-wih lauerte, wie der
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