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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hatte dabei gelitten; die tiefsten seiner Wunden waren noch immer nicht verheilt; seine Augen lagen wie eingegraben in den Höhlen. Hanska glaubte vielleicht, daß Ite-ska-wih ihn nicht mehr liebe. Das Kind unter ihrem Herzen aber war sein Kind und das lebende Zeugnis dafür, daß sie sein war.
    Ite-ska-wih mochte noch nicht in die Hütte zurückgehen. Sie wurde mit dem, was sie durch Ray erfahren hatte, nicht fertig.
    Als sie nach einer Stunde einen Motor brummen hörte, wußte sie, daß es nicht der des Jaguar war. Nicht Hanska-Mahto kam. Es mußte ein Fremder sein. Sie versteckte sich hinter der Stute, um zu beobachten, ehe sie selbst beobachtet wurde.
    Was kam, war ein einfacher Ford, wie Ite-ska-wih ihn von der großen Stadt her kannte. Am Steuer saß ein fremdartiger Mensch. Als er anhielt und ausstieg, konnte Ite-ska-wih ihn genauer sehen. Er mochte etwa 50 Jahre alt sein. Sein schwarzglänzendes Haar war in Wellen gelegt; seine Haut hatte das echte Indianerbraun. Seine Kleidung war nicht die der Hirten, auch nicht die der Lehrer oder Verwaltungsbeamten. Er hatte sich auffälliger angezogen, bunter, ausgewählter. In der Hand hielt er eine Flinte in einer kostbaren Lederumhüllung.
    Das konnte nur Arthur sein, Dorothys Enkel.
    Ite-ska-wih schaute zu, wie er in das Blockhaus hineinging. Sie hoffte, daß er sie nicht bemerkt habe. Sie wollte noch lange allein mit sich bleiben. Nach einiger Zeit wurde Ite-ska-wih aber von Dorothy gerufen. Das war ungewöhnlich. Die beiden alten Frauen ließen den jungen Leuten vollständige Freiheit, wann und wie sie kommen und gehen wollten. Nur des Nachts war stets mindestens einer der jungen Männer da und hatte seine Waffen bereit; das war die einzige Regel, die galt.
    Dorothy mußte also einen gewichtigen Grund haben, Ite-ska-wih jetzt ins Haus zu holen. Die junge Frau folgte dem Ruf sofort.
    In dem Blockhaus stand sie Arthur gegenüber. Er hatte gegessen; Hetkala brachte eben Schüssel und Becher weg. Merkwürdigerweise hielt er seine Jagdflinte in der Lederhülle in der Hand und hatte seinen Rock an, als ob er schon wieder aufbruchsbereit sei und irgend etwas zu unternehmen plane. Er ging aber nicht weg, sondern setzte sich an eine Bankecke, von der aus er Ite-ska-wih von Kopf bis Fuß mustern konnte.
    »Du bist also Ite-ska-wih.« Er sprach die junge Frau englisch an. Sein Tonfall war mehr als achtungsvoll, er klang anerkennend. Sie vermutete nach seinen Worten und seinem Verhalten, daß er sie draußen auf der Wiese doch schon gesehen und sich bei Dorothy nach den Gästen im Hause erkundigt hatte.
    »Ja, ich bin Ite-ska-wih.«
    »Du wohnst mit deinem Bruder und mit zwei Fremden hier bei uns.«
    »Ja.«
    »Ihr habt an dem Aufstand teilgenommen. Das ist nicht gut. Du kannst das nicht beurteilen, aber ich werde es dir erklären. Wir sollten an die Geheimnisse denken, nicht an die Waffen und die Politik.«
    Ite-ska-wih schwieg.
    Er ließ die Erscheinung der sehr jungen Frau offenbar mit wachsender Bewunderung auf sich einwirken.
    »Du bist schön, Ite-ska-wih«, sagte er nach einer sehr langen, die Nerven anspannenden Pause. »Das ist nicht wichtig. Du hast schon Geheimnisse erlebt. Das leuchtet durch dein Gesicht hindurch. Ich werde dich malen, als eine indianische Frau, die von Wakantanka, dem Großen Geheimnis, weiß.«
    Ite-ska-wih gab keine Antwort. Sie war nicht sicher, ob Arthur die fremden Gäste im Haus seiner Großmutter dulden wollte. In der Zeit, in der er sie malte, mußte er aber wohl Gastfreundschaft üben. Deshalb widersprach sie nicht.
    »Morgen können wir beginnen, Ite-ska-wih. Wie wirst du von den Weißen genannt?«
    »Mara.«
    »Ich will dich Mara nennen. Morgen beginnen wir. Die Bilder von dir formen sich schon für mein inneres Auge zu einem einzigen Bild, aus dem alles spricht.«
    Aus seinen Phantasien glitt Arthur plötzlich zu seinen Leibesinteressen zurück. Er lief hinaus zu seinem Wagen und kam mit einer Büchse Nescafe zurück, die er Dorothy gab. Er ließ sich von ihr einen sehr starken Mokka machen. Ite-ska-wih ging zur Seite und arbeitete am anderen Tischende an ihrer Stickerei weiter.
    Arthur lächelte.
    »Vielleicht so«, sagte er. »Vielleicht male ich dich so. Was für ein Muster stickst du?«
    »Das Tipi.«
    »Wir werden über sein Geheimnis sprechen, während ich dich male. Ich bin ein Geheimnismann.«
    »Das habe ich gehört.« Ite-ska-wih benutzte den Moment der Antwort, um in seine Augen zu sehen. Sie hatten den sonderbaren Glanz der

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