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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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»Haben Sie zufällig etwas gehört, wo man den Cowboy Robert treffen könnte?«
    »Robert? Der war doch da droben bei den Aufständischen. Seitdem geistert er umher. Wollen Sie etwas von ihm? Ich meine, ich will ja nicht neugierig sein, wahrhaftig nicht. Nur wenn ich Ihnen helfen könnte – und hier bei mir läßt sich ja fast jeder mal sehen.«
    »Vielleicht. Roberts Pferd, der Apfelschimmel, ist uns zugelaufen, mit Sattel und Zaumzeug – das möchten wir ihn wissen lassen. Er sucht doch bestimmt das wertvolle Tier.«
    »Robert sein Pferd? Und ob er das suchen wird! Was ist denn da wieder passiert. Es gibt keine Ruhe mehr. Wenn –, oh, seine Frau ist doch aus Kanada gekommen und sucht ihn auch. Falls sie wieder einkaufen kommt, sage ich ihr Bescheid.«
    »Wo wohnt denn Joan? Ich könnte sie ja aufsuchen.«
    »Ja, wo – bei Rufus Myer hat sie mal übernachtet; sie dachte doch, die Kings, bei denen Robert angestellt war, haben die Ranch noch – also ich denke, da ist sie auch erst mal geblieben. Haben Sie den Wagen da? Oder ein Pferd?«
    »Bin zu Fuß.«
    »Das ist schlecht. Sonst hätte ich gesagt, fragen Sie doch einfach mal bei Myer nach. Vielleicht hat er sie eingeladen – vielleicht spekuliert er, daß sie mal seine Pferde reitet – sie ist ja berühmt als Rodeoreiterin.«
    »Danke für die Auskunft und den Rat. Ein Pferd bekomme ich schon irgendwo geliehen.«
    Ite-ska-wih eilte zu Yvonne, erklärte mit wenigen Worten die Situation und erhielt einen zuverlässigen schnellen Schecken.
    Das Reiten machte ihr schon Freude. Sie fühlte sich sicher im Sattel, und das Tier zeigte sich gutwillig, da es die sanft bestimmende Hand am Zügel fühlte.
    Der Ritt führte in ein von Hügelzügen begleitetes Prärietal. Rechter Hand fielen die Hänge steil ab. Die Wiesen waren abgebrochen; das weiße Gestein leuchtete in der Sonne. Linker Hand erblickte Ite-ska-wih nach geraumer Zeit den Seitenweg, der am Hang schräg aufwärts zu einem Ranchhaus führte; ein Stück weiter oben stand das alte, dunkle, kleine Blockhaus, von dem Hanska gesprochen hatte.
    Ite-ska-wih lenkte zu dem Ranchhaus Rufus Myers hinauf. Aber sie gehörte mit ihrem Fühlen und Denken nicht zu diesem Haus. Sie gehörte zu dem Weg, den sie hinaufritt; Inya-he-yukan hatte ihn gebaut und ihn oft benutzt. Sie gehörte zu den Wiesen, auf denen Inya-he-yukans Pferde, Rinder und Büffel geweidet hatten. Sie gehörte zu dem alten kleinen, dunklen Blockhaus, in dem Inya-he-yukan Stonehorn King geboren war und gelebt hatte und in das Hanska als Wahlsohn aufgenommen worden war. Von solchen Gedanken und Träumen umsponnen, ritt sie den Weg hinauf, als wäre sie eine Tochter der Kings.
    Die Wiesen grünten, der Sommertag war hell, die weißen Felshänge auf der anderen Talseite flimmerten im Licht. Nicht weit von der Ranch war der Friedhof zu sehen, von dem Hanska ihr erzählt hatte. Der leise, warme Wind spielte um ein indianisches Häuptlingsgrab. Da ruhte Inya-he-yukan der Alte. Der indianische gekrümmte Szepterstab mit einem Bündel Adlerfedern ehrte ihn.
    Ite-ska-wih war oben angelangt. Sie fühlte sich noch wie benommen, als sie absaß und das Pferd am Zügel zu der Tür des Ranchhauses führte. Sie klopfte nicht, gab überhaupt kein besonderes Zeichen ihrer Anwesenheit, sondern wartete. Man mußte sie ja sehen. Daß die Familie Rufus Myer nicht zu jenen brutalen oder ängstlichen gehörte, die jeden unvermutet auf ihrem Ranchland auftauchenden Indianer abschossen, wie vor Jahren der junge friedliche Jerome abgeschossen worden war, hatte Hanska Ite-ska-wih schon wissen lassen.
    Aus dem Haus drangen Geräusche von Schritten und Stimmen. Die Tür wurde geöffnet, und ein grauhaariger schwergewichtiger Mann kam heraus; er war als Rancher gut angezogen, ganz in Leder, und trug die üblichen hohen Schaftstiefel. Sein Gesicht war nicht nur das eines alten Mannes, es wirkte mit dem Kinnbart altväterisch. Die Augen unter den zusammengewachsenen Brauen zwinkerten Ite-ska-wih zu.
    »Hallo, die junge indianische Lady! Spricht englisch?«
    Die Anrede »Lady« galt Ite-ska-wih zum erstenmal in ihrem Leben; sie hörte sie mit Erstaunen; als Indianerin in dem billigen Kleid hatte sie eine solche achtungsvolle Form nicht erwartet. Sie war sich in diesem Augenblick nicht des Stolzes ihrer Haltung und eindrucksvollen Harmonie bewußt, die aus ihren Träumen von Inya-he-yukan hervorgegangen waren, und wenn sie sich auch als eine King fühlte, so richtete sich ihre

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