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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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offiziell zur Kenntnis genommen wurde und aufgedeckt werden mußte.
    »Ist der lange Indianerpolizist deshalb verschwunden?« fragte Ray. »Weil es jetzt ans Aufdecken geht?«
    »Nein, Ray. Dieser Mann hatte noch einen Rest Gewissen.«
    »So was gibt’s bei uns Indianern also auch.« Ray sagte das Wasescha nicht ins Gesicht, er murmelte die Worte nur nebenher. Aber Ite-ska-wih hatte sie gehört.
    »Von was für Indianern sprichst du, Ray? Von denen, die noch Indianer sind? Von dir selber, von mir, von Hanska, von Wasescha, von Hetkala?«
    »Eine Medizinfrau muß es wissen.« Es war wieder eine der spöttischen Formulierungen Rays, aber es stand Ernst dahinter. Er wunderte sich über seine Schwester und gelangte, für ihn selbst überraschend, zu der Frage, wie es um ihn selbst stehe. Hatte er wirklich noch dergleichen, was man Gewissen nennen konnte? Allerdings. Er hatte immer gewußt, wo er hingehörte. Jetzt gehörte er zu denen, die von den Killern und ihrem Chief gehaßt und verfolgt wurden. Ein Gewissen zu haben war einfach, war ganz natürlich und war zugleich gefährlich, wie das meiste, was gut und recht war. Der Mord an Inya-he-yukan Stonehorn hatte gerächt werden müssen, da die Polizei die Tat nie verfolgt und bestraft hätte. Der Mord an Robert mußte gerächt werden, da das Hospital die Untat vertuschte. Wo kein Recht war, setzte die Rache das Recht. Klar und einfach war das und gewissenhaft gedacht. Wenn das Recht gelten sollte, mußten genügend mutige Menschen das Recht wollen. Man würde ja sehen. So pflegte sich Wasescha auszudrücken, und Ray nahm die Redewendung an. Ja, man würde sehen. Einen Versuch war das Recht wohl noch wert.
    Ray betrachtete seine Schwester stillschweigend. Sie war gewachsen. Sie war aufrechter geworden, ruhiger, mutiger, größer in einem anschaulichen Sinne, weil sie die Schultern zurücknahm und den Kopf zu heben pflegte, wenn sie sprach und wenn sie einen Gedanken zu Ende führte. Er konnte sich an ihr messen; sie war ein Maßstab geworden. Drei Jahre jünger und schon sein Maßstab.
    Das hing mit Inya-he-yukan zusammen und mit den Ereignissen, in die er sterbend die Geschwister hineingerissen hatte. Die Wurzel, aus der das hatte wachsen können, war Untschida. Seit Ray im Haus am kahlen Berg mit ihr zusammen lebte, sprach er öfter mit ihr als früher im Keller. Damals war sie Ite-ska-wihs Untschida gewesen; jetzt war sie die seine.
    »Also«, sagte Ray am Ende seines langen Gedankenganges zu Wasescha und Hanska, »wenn es euch recht ist, so reite ich jetzt zu den jungen Männern, zu denen Robert reiten wollte. Er hat mir ihre Namen gegeben und die Parole. Es war, als ob er etwas von seinem Tode ahnte. Ich werde diesen jungen Männern aber sagen, daß wir alle dabei sind, wenn Pedro auf unserer Reservation begraben wird. Er vertritt unsere Toten. Wir ehren alle unsere Toten in ihm. Ich denke nicht, daß einer von uns viel Worte machen wird. Wir werden stumm dastehen wie ein Mahnmal. Angst wird sich an den Killerchief heranschleichen, wenn er uns sieht.«
    Hanska horchte auf. Er selbst hatte bei den erbitterten jungen Männern kein offenes Ohr gefunden. Ray war es, der die Parole wußte.
    Ite-ska-wih öffnete dreimal die Lippen, ehe sie ein Wort hervorbrachte. Dann sagte sie: »Wie redest du denn auf einmal, Ray?«
    »So, wie ich denke in Inya-he-yukans Spuren.«
    Wasescha nickte.
    Hanska gab Ray den Braunen.
    »Reite!« sagte er.
    Wasescha, Hanska und Ite-ska-wih schauten dem Fortreitenden nach, bis er verschwunden war.
    Wie ist das gekommen, dachte Helles Gesicht. Das hat der große Mann bewirkt, der in seinen Jeans vor dem weiß gestrichenen Holzhaus auf dem Balken gesessen und kurze schwergewichtige Worte gesprochen hat. Diese Worte hatten es in sich, daß sie sich teilen können, dahin und dorthin gehen und dabei nirgends an Gewicht verlieren. Sie haben sich auf Waseschas Nacken gelegt, auf den meinen, auf Hanskas und auf Rays wie eine Last und wie eine Kraft.
    Ray ging jetzt einen Weg, der von Gefahren wie von Wölfen umlauert war. Er verstand von der Stammessprache erst sehr wenig und konnte sich mit den jungen Männern nur englisch verständigen, was sie zwar in der Schule alle gelernt hatten, aber doch nur in sehr verschiedenem Grade, und das ihnen nicht so vertrauenerweckend im Ohr klang wie die Muttersprache. Er war sicherlich den meisten schon als Roberts Freund bekannt, sonst wäre Robert nicht zu ihm als erstem geritten, hätte nicht ihn als ersten

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