Das helle Gesicht
Notwendigste sagte, ließen ahnen, wie sie sich quälte. Auch Ite-ska-wih war schweigsam. Das Geheimnis um Robert, das sie kannte, bedrückte sie wie ein schwerer Stein auf dem Nacken. Die beiden jungen Frauen fuhren bis zu dem Platz, zu dem man mit dem Wagen vordringen konnte, ließen ihn neben dem Jaguar stehen und gingen zu Fuß zu Waseschas Tipi.
In dem Zelt rösteten ein paar Fleischstreifen am Spieß. Iliff war aus der Schule zurück; er hatte sich ein Buch mit Landschaftsbildern aus aller Welt vorgenommen und zog sich damit in den Hintergrund zurück. Hetkala und Wasescha empfingen die Ankömmlinge freudig; Hanska, sagten sie, sei bei den Pferden. Es litt Joan daher nicht im Tipi. Alle zusammen gingen zu der Weide, auch Iliff entschloß sich mitzukommen. In dem offenen Gelände erkannte Joan schon aus weiter Entfernung den Grauschimmel.
Als sie ihn erreicht hatte, streichelte sie seinen Hals; das Tier war ihr zugetan. Ite-ska-wih trat zu Joan.
Joans Schmerz zerriß plötzlich ihre Fassung.
»Sie haben ihn ermordet! Ihr wißt es. Warum wollt ihr die Mörder decken? Ist das Indianerart? Feige seid ihr, mitschuldig!«
Ite-ska-wih senkte die Lider, sie bedeckte die Augen, weil sie sich schämte, für sich schämte und für andere schämte. In Wahrheit mußte sie sich für Margot schämen, die in Todesangst um sich selbst, um ihre Kinder und um ihren blinden Mann schwieg. Mußte, durfte sie sich für diese Frau schämen? Schämen mußte sie sich dafür, daß es Killer gab, aber diese Killer waren tot. Schämen mußte sie sich für das große Schweigen über dem Verbrechen. Das Schweigen sollte an Pedros Grab gebrochen werden.
»An Pedros Grab werden unsere Jungen zu sprechen beginnen«, sagte sie laut und hob ihr Antlitz.
Aber als sie das Entsetzen in Joans Zügen erkannte, die begriff, daß ihr Mann nicht mehr am Leben war, sickerten ihr die Tränen über die Wangen; sie wurde totenblaß.
Joan hatte sich nicht mehr in der Gewalt. Sie schrie nicht mehr auf, wie sie es zuerst getan hatte. Ihr Körper verkrampfte sich. Ihre Arme wurden starr; man hätte ihre herabhängenden, zur Faust geschlossenen Hände nicht mehr öffnen können, ohne die Finger zu brechen. Ihr Blick richtete sich nicht mehr auf Ite-ska-wih, sondern ins Nichts. Sie vermochte nicht mehr zu sprechen. Daß der Grauschimmel zu ihr herankam und seine weichen Nüstern an ihre Wange legte, schien sie nicht zu spüren. Ite-ska-wih strich sanft wie ein Lufthauch Joans Nacken. Wasescha und Hetkala standen umher, ohne Hilfe zu wissen. Sie konnten Margot und Hanska nicht preisgeben.
Ite-ska-wih versuchte nicht, sang- und klanglos Wortetrost zu spenden. Sie spürte nur von den Nerven ihrer Fingerspitzen her die Nerven in Joans Nacken, die sich erstarrt anfühlten und vom Mittelpunkt aus alle Nerven in allen Gliedern starr werden ließen, so daß die Gefahr bestand, sie würden auch das Herz lahmlegen.
Ite-ska-wih begann zu singen, fast unhörbar, so daß ihr Lied wie das heimliche Lied der Gräser klang, die mit dem Wind ihre Geheimnisse flüsterten. Sie strich ohne Unterlaß Joans Nackenhaut, die zu zucken und zu vibrieren begann. Der schmerzhafte Krampf begann nachzulassen, doch nur sehr langsam; manchmal schien es, als ob sich alles wieder versteifen wollte, aber Ite-ska-wih ließ das feinnervige Einfließen ihrer Ruhe, die schwer errungen war, weiter wirken. Niemand störte sie mit einem unnützen Wort oder einer fahrlässigen Bewegung.
Endlich rührte sich Joan. Ihr Kopf sank nach vorn. Sie verlor die Kraft zu stehen. Wasescha fing sie auf und trug sie von der Weide heim in das Tipi. Der Grauschimmel kam mit. Niemand hinderte ihn. Er blieb vor dem Zelteingang stehen.
Hetkala bettete Joan auf ihre eigene Lagerstatt. Joan öffnete die Augen und schaute auf Ite-ska-wih, die neben dem Deckenlager kniete. Sie wollte deren Blick festhalten, und Ite-ska-wih schenkte der Todtraurigen das aus der Tiefe aufbrechende Licht, das sonnenwarme, das helle, das ihr den Namen Ite-ska-wih eingebracht hatte. Joan nahm es in sich auf wie eine heilende Kraft.
»Verzeih«, sagte sie schließlich, so leise, daß nur Ite-ska-wih sie verstehen konnte. »Es ist nicht eure Schuld. Ich werde Roberts Kinder so aufziehen, wie er es von mir erwartet.«
Joan schluchzte, sie heulte auf, es schüttelte sie. Müde werdend, ausgeschöpft, verlor sie endlich das Bewußtsein und sank in einen Schlaf, der ihr nur Kraft geben konnte, in neuer Wachheit neuen Schmerz zu empfinden.
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