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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zusammen die karge geschmacklose Mahlzeit; verwöhnt war in diesem Zelt keiner. Das eingetrocknete Blut auf der einen der Häute, die den Boden deckten, erinnerte an die Ereignisse des vergangenen Abends. Der Graue kam herein, roch an der Decke und knurrte wieder. Niemand störte ihn, als er sich in das Zelt legte.
    Wir müssen Ray hierher holen, dachte Ite-ska-wih. Die beiden Großmütter im Haus am kahlen Berg sind kaum in Gefahr. Gefahr ist hier in Waseschas Tipi für die Zeugen der Vorgänge vom vergangenen Tag.
    Hanska würde das bedenken.
    Heute sollten er und Ite-ska-wih die Arbeit bei Rufus Myer aufnehmen. Sie mußten ihre geringe Habe ins Blockhaus und den Schecken auf die Weide bringen, die eine und eine halbe Kuh ernähren konnte. Der Braune und die Appalousastute mochten erst einmal bei Hetkala bleiben.
    Ite-ska-wih empfand nicht das, was die Watschitschun als Nervosität bezeichnet hätten. Sie wartete ab. Wichtig war, daß sie ruhig blieb, zu genauer Erinnerung und Überlegung fähig.
    »Wir sind im Recht«, sagte sie zu Iliff und Hetkala. »Wasescha mußte schießen.«
    Die Stunden liefen ereignislos dahin. Ite-ska-wih machte bei den Pferden draußen eine Runde.
    Um die Mittagszeit wurden die Tiere aufmerksam. Ite-ska-wih betrachtete Hanskas Pistole, lud durch, legte an und sicherte wieder. Sie kannte sich schlecht aus mit dieser Waffe und brachte sie lieber ins Tipi zurück.
    Der Schecke stampfte, tanzte, schnaubte freudig. Das war das sichere Zeichen, daß Hanska kam. Ite-ska-wih eilte ihm entgegen.
    »Hanska! Wasescha! Tatokala!« rief sie laut, damit Hetkala und die Kinder sie hören konnten.
    Die Zeltbewohner waren alle zur Stelle, als die beiden eigenen Wagen und das Polizeiauto anlangten. Zwei Polizisten und eine Gerichtsperson stiegen aus.
    Hanska, Wasescha und Tatokala gingen mit ihnen in das Tipi hinein, während der Gefesselte laut und anhaltend schimpfte.
    Wasescha und die Zeugen gaben kurz gefaßt Auskunft. Die Polizei nahm die Angaben und das Resultat der Vorgänge am Tatort auf; der Untersuchungsrichter machte sich schon Notizen.
    »Sie kommen erst mal alle wieder mit«, hieß es dann.
    Als Wasescha mit den anderen am Abend zu seinem Tipi zurückkehrte, konnte er Hetkala eine Botschaft bringen, die nicht schlecht klang. »Sie werden mich des Mordes oder des Totschlags anklagen, und zwar wird der Killerchief in New City vor einem weißen Gericht die Beschuldigung vorbringen, daß ich einen seiner Leute erschossen hätte. Bis dahin bin ich auf Kaution frei. Sehr sonderbar. Hanska stellt eintausend Dollar Bürgschaft für mich aus dem Geld, das Krause ihm geliehen hat.«
    »Kunststück«, sagte Hanska. »Du läufst nicht davon, und also erhalte ich das Geld eines Tages zurück. Aber auf das Urteil bin ich gespannt. Die erste Dummheit hat der Killerchief schon gemacht.«
    »Die wäre?«
    »Daß er sich überhaupt hineinhängt. Er stellt sich bloß mit seinem Killer White Horse. Überdies hast du nur dein Hausrecht ausgeübt und White Horse sogar noch vorher gewarnt. Du mußt freigesprochen werden. Haftbefehl gegen dich lag nicht vor, nicht einmal eine Anzeige. Es gab keinen legalen Grund, bei dir einzudringen.«
    »Freispruch kann ich verlangen. Wahrscheinlich ist er nicht. Denkt an die ungerechten Prozesse, die gegen unsere großen indianischen Führer im Gang sind.«
    »Die vergessen wir nicht, Wasescha. Aber die Wege der Watschitschun sind krumm und seltsam verschlungen. Gegen unseren Killerchief ist man zur Zeit ungnädig gestimmt. Jedenfalls bist du hier und kannst deine Familie beschützen. So rasch werden sie nicht wieder mit dir anbinden.«
    »Kaum. Macht euch also auf, Hanska und Ite-ska-wih, damit ihr heute noch bei Rufus Myer erscheint.«
    »Ho-je!«
    Ite-ska-wih schwang sich auf den Schecken, der auch das gepackte Bündel Habseligkeiten trug. Hanska lief in großen Sätzen mit, bis der Jaguar erreicht war. Er ging ans Steuer, Ite-ska-wih setzte sich zu ihm, und der Schecke lief an der Lasso-Leine in scharfem Trab und leichtem Galopp mit.
     
    Der Ton, in dem das junge Paar auf Myers Ranch empfangen wurde, war nicht mehr der gleiche, in dem die Verhandlungen geführt worden waren. Myer senior erschien und gab Anweisungen. Der Schecke strebte mit Gewalt in seinen alten Korral, den er wiedererkannte; mit den drei Pferden, die sich darin befanden, dachte er sich keineswegs zu vertragen, ehe nicht seine absolute Herrschaft gesichert war. Hanska sprang über den Zaun zu den Pferden

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