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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Flucht mit. Er wollte beweisen, daß alles korrekt gehandhabt worden war. Zwei Tage vorher hatte er sich geweigert, die Socken, es waren einige tausend, an durchziehende Truppen auszugeben, weil er keinen Befehl dazu hatte.
    Stalingrad bewies, daß eine Armee auch durch die Korrektheit deutscher Beamter sterben kann.
    Am 16. Januar fiel Pitomnik in sowjetische Hand. Die beiden letzten deutschen Flakbatterien der Flakartillerieschule Bonn sprengten ihre Geschütze, nachdem sie alle Granaten verschossen hatten und kein Sprit mehr vorhanden war, sie abzutransportieren. Die Lebensader des Kessels, der Flugplatz Pitomnik, war durchschnitten. Die Versorgung aus der Luft geschah nur noch durch Abwerfen von Verpflegungs- und Materialbomben, am Tage sechs bis acht Tonnen. Und fünfhundert wurden gebraucht!
    Die 6. Armee war ein riesiger Leib, der stückweise abstarb, der von allen Seiten zur Mitte hin verfaulte … bis zum Herzen, das weiter schlug … in den Trümmern einer Stadt, die nicht einmal mehr einer Mondlandschaft glich.
    Das alles geschah in fünf Tagen.
    Und fünf Tage sind eine kurze Zeit …
    Es gab keinen anderen Weg in diesen Tagen als nach Osten, hinein in die Stadt. Je enger die Zange gedrückt wurde, um so mehr fluteten die deutschen Einheiten aus der Steppe in die Ruinenwüste. Hier gab es wenigstens Keller, in denen man sich verkriechen konnte, hier gab es Erd- und Steinwälle, geschützte Gräben, Ruinen und ausgebaute Trichter, hier waren zwar auch 40 Grad Kälte, aber der Wind brach sich in den Trümmern und heulte nicht über den weißgedeckten Tisch der baum- und strauchlosen Steppe. Hier gab es Wärme, denn jede Ecke in den Ruinen, wo der Wind nicht wehte, wurde als warm empfunden. Hier gab es sogar Brunnen, die noch klares Wasser spendeten, hier gab es Balken und Dachlatten, Eisenbahnschwellen und Dielenbretter, die man verheizen konnte und die man raspelte und sägte, um aus dem Holzmehl eine sämige Suppe zu kochen, angereichert mit dem dickenden Fußpuder, von dem sinnigerweise noch genug vorhanden war.
    Also hinein in die Stadt … hinein in die Trümmerwüste … weg aus der Steppe, in der die weißgestrichenen Panzer alles in den Schnee mahlten, was sich vor ihnen bewegte.
    Nur noch in Gumrak landeten die Flugzeuge. Der Kessel war zusammengeschrumpft wie ein Bratapfel. Er war 25 km lang und 16 km breit. In ihm wimmelten 284.000 Mann wie aufgescheuchte Ameisen herum, wurden mit Bomben belegt, von Salvengeschützen in die Erde gepflügt, von Stalinorgeln zerrissen, unter Panzerketten zerquetscht, von Minen in die Luft geschleudert, verhungerten, erfroren, schrien im Fieber, lösten sich in Eiter auf, krochen herum wie blinde Hunde, ein Aufbäumen gegen das Grauen, eine sinnlose Flucht vor der Vernichtung.
    Die Lazarettkeller von Stalingrad quollen über.
    Dr. Portner stand hilflos der Flut gegenüber, die über die steile Treppe in sein Kellerlabyrinth unter dem Kino hinabspülte. Sie krochen auf allen vieren heran, die zerfetzten, brandig-schwarzen Glieder hinter sich herziehend, sie grinsten im Fieberwahn oder rollten brüllend die Stufen herunter, sie bissen sich um einen Platz im Keller und fielen wie die Hyänen über die Toten her, schleiften sie weg, eroberten sich den freiwerdenden Kellerfleck. Und dann lagen sie da, wurden apathisch, faulten dahin, beteten mit Pastor Sanders und Pfarrer Webern, und immer war es das gleiche, das sie in merkwürdiger Ruhe sterben ließ: der Gedenke an zu Hause, die Erinnerung an die Frau, die Mutter, die Braut, die Kinder. Sie sahen in den letzten Minuten ihren Garten, ihr Haus, die Wohnung, das Sofa, auf dem sie gesessen hatten, sonntags, wenn es starken, duftenden Kaffee gab und einen Rosinenblatz, dick mit Butter bestrichen. Nach dem Essen fahren wir alle hinaus … an den Wannsee … in den Grüngürtel … in den Königsforst … an die See … nach Starnberg … nach Heringsdorf, Bansin oder Ahlbeck … zum Kahlen Asten … an die Möhnetalsperre … Sonntag! Mutter, pack den Kartoffelsalat ein! Und zwei Flaschen Kaffee. Und für'n Papa 'ne Flasche Pils.
    So starben sie … in der Hölle sich erinnernd an das kleine Paradies … die einen umklammerten die Hände ihres Pfarrers, die anderen streckten sich lautlos, einige schrien noch einmal … 132.000 Männer waren es bis Ende Januar 1943. Sie hätten gern darauf verzichtet, Helden genannt zu werden. Sie waren nichts anderes als Opfertiere deutschen militärischen Versagens … nicht allein Opfer

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