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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zeichnete Dr. Körner den neuen Frontverlauf mit einem Bleistiftstummel ein.
    »Wenn das so weitergeht, sind wir in vier Tagen zusammengedrückt«, sagte Dr. Portner.
    Dr. Sukow lehnte sich zurück an die feuchte Kellerwand. »Es wird so weitergehen …«
    »Soll ich Ihnen gratulieren?« Dr. Portner sah zu Dr. Körner und Olga Pannarewskaja. Sie verließen den OP-Keller. »Sie wissen, daß wir hier alle in die Hölle fahren … auch Sie …«
    »Ja.«
    »Und das regt Sie nicht auf?«
    »Nein.«
    »Es regt Sie nicht auf, daß das alles sinnlos ist?«
    »Nein.« Dr. Sukow sah auf den tickenden Funkempfänger. Neue Meldungen von den Fronten jagten sich. Neue Aufschreie des Sterbens. »Die Dummheit der Masse Mensch ist eine Linie ihres Gesichtes … man muß es hinnehmen …«
    Dr. Portner sah Dr. Sukow verblüfft an. Das ist es, was wir nie verstehen, dachte er. In ihnen ist die Weisheit des vieltausendjährigen Asien …
    Während die 6. Armee in den glühenden Zangen der russischen Panzerdivisionen zerdrückt und zermalmt wurde, wurde im Führerhauptquartier der Text für den Wehrmachtsbericht des 11. Januar vorgelegt. Er enthielt über den Untergang des Kessels Stalingrad nur einen einzigen Sammelsatz:
    »Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: In Nordkaukasien, bei Stalingrad und im Don-Gebiet wurden fortgesetzte Angriffe zahlenmäßig überlegener Infanterie- und Panzerkräfte der Sowjets in schweren Kämpfen blutig abgewiesen …«
    Weiter nichts. Für Hitler war die 6. Armee bereits gestorben.
    In einem Granattrichter saßen Dr. Körner und die Pannarewskaja. Sie starrten in den Nachthimmel, der von allen Seiten durchzuckt war von Bränden und Wetterleuchten. Ein riesiger Mond hing über der Stadt, unwirklich in seiner brennenden Kälte.
    »Hast du Angst?« frage die Pannarewskaja.
    »Nein.« Dr. Körner lehnte den Kopf an den Trichterrand. »Wovor Angst?«
    »Vor dem Sterben, Liebster …«
    »Ich habe nie daran gedacht, wie es sein könnte, einmal nicht diesen Mond zu sehen, oder die Sterne, oder die Sonne, oder dich … Ich wußte nicht, daß es dich gibt. Jetzt müßte ich denken: Wie schön wäre es, nicht in einem Granattrichter, sondern im hohen Sommergras zu liegen, mit dir, deinen Atem zu hören, deine Wärme zu spüren … Aber ich kann es nicht denken … Es ist alles so leer in mir … so ausgebrannt wie die Ruinen um uns …«
    Olga Pannarewskaja legte den Arm um seinen Hals und drückte ihr Gesicht an seine unrasierte, stachelige Wange. Jetzt sprach sie russisch, ihr Herz war so voll, daß ein deutsches Wort keinen Platz mehr hatte.
    »Skolko tebje ljet?« fragte sie. (Wie alt bist du?)
    »Sechsundzwanzig, Olga.«
    »Dai mnje twoju ruku …« (Gib mir deine Hand.)
    26 Jahre ist er alt, dachte sie. Drei Jahre jünger als ich. Aber wir alle sind noch zu jung, um zu sterben. Was wissen wir denn vom Leben? Was hat man uns denn an Schönheit gegönnt? Haben wir überhaupt schon gelebt?! Was war es denn, dieses Leben? Ein Bauerndorf, ein betrunkener Vater, eine geduldige Mutter. Die Schule, die Jungaktivistenverbände, die Komsomolzen, die Universität, die Klinik, der Krieg … und nur immer lernen, arbeiten, aktivieren, Soll erfüllen, das Vaterland lieben, dienen, gehorchen … Man hatte das Herz vergessen. Jetzt spürte man es, ein paar Schläge, bevor es zerrissen werden würde.
    Sie legte ihre Hände um Körners schmalen Kopf und drehte sein Gesicht zu sich. Ihre großen, schwarzen, herrlichen Augen glänzten.
    »Pozelui menja …«, sagte sie. (Küß mich.)
    Er küßte sie, und unter ihren Lippen, die heiß waren und sich öffneten, begann er zu zittern und umklammerte ihre Schultern.
    »Wir sind verrückt«, sagte er heiser. »Mein Gott … wir sind ja verrückt …«
    »Ja ljublju …« (Ich liebe dich), sagte sie. Sie drückte seinen Kopf an ihre Brüste und streichelte seine blonden Haare. »Warum sollen in einer verrückten Menschheit wir zwei die einzigen Normalen sein? O mein Liebling … morgen ist es vorbei … oder in dieser Nacht … in einer Stunde … gleich, in der nächsten Sekunde … wissen wir es?«
    »Warum machst du uns das Sterben so schwer, Olga?«
    »Es wird nicht schwer sein … wir werden uns umarmen und wissen, warum wir sterben … Die Welt, in der wir leben könnten, wird es nie geben. Wir sind ein verfluchtes Geschlecht …«
    Die Panzerkeile der sowjetischen Divisionen rasselten auf Pitomnik zu. Ihnen entgegen liefen, stolperten, tappten, taumelten, krochen auf

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