Das Herz der 6. Armee
sich auf einen der Hühnerfuttersäcke. »Und nun teilen wir auf. Wie viele Mäuler sind in der Stadt? Natürlich nur Zivilisten! Die Soldaten haben ihre eigene Verpflegung.«
Man sieht: Es war wie überall, wo eine Beamtenseele Flügel erhält … So kam es, daß die Essenträger, meist Frauen in dicken, unförmigen Wattejacken und wattierten langen Hosen in Filzstiefeln, die Köpfe in wollene Kopftücher gehüllt, bei der nächsten Ausgabe an den verstreut liegenden Verpflegungsstationen pro Familie drei Schäufelchen Hühnerfutter bekamen. Dazu ein glitschiges, schwarzes Brot, ein Büchschen mit Sojabohnen, geschnitzelten und getrockneten Kapusta, der nach gefrorener Jauche roch, ein Stück Preßtee und zwei Klümpchen Pflanzenfett. Freunde, wenn das kein Festtag war!
Am nächsten Abend kochten in allen Kellern Stalingrads die eisernen und blechernen Kochtöpfe über. Es roch köstlich nach Kascha und Fisch, und es war eine Wonne, mit dem Löffel nicht in Wasser, sondern in einem richtigen dicken Brei rühren zu können. Er klebte am Holzstiel, er klatschte lustig auf die Teller, er versprach, im Magen ein Klumpen zu werden, der zwölf Stunden das selige Gefühl der Sättigung herbeizauberte.
Frauen, Kinder und Greise versammelten sich um die Töpfe. Die Sage lief von Keller zu Keller, von Mund zu Mund, man habe sechstausend Sack gefunden. Stalingrad war gerettet, wenigstens, was den Hunger betraf.
»Genossen, jetzt sieht man erst, wie luxuriös die Hühner in unserem Volksstaat ernährt wurden!« sagte Genosse Piotr Popow vom Parteikomitee. In einem Keller am Wasserturm organisierte er den Einsatz der nicht ausgebildeten, aber kampffähigen Männer.
Am Morgen bereits raufte sich Iwan Grodnidsche die Haare und suchte einen Schuldigen für dieses Versagen der Ernährungspolitik. Da er keinen fand außer sich selbst, stellte er sich von diesem Augenblick an taub oder sagte: »Was wollt ihr, Genossen?! Ein voller Magen kostet eben Opfer …«
Folgendes war geschehen: Die kleinen, winzigen Fische in dem Hühnerfutter, kaum einen Fingernagel lang und dünn wie Würmchen, Fische, die nur aus einem Auge zu bestehen schienen, war so gesalzen, daß sie, nachdem sie im Magen aufquollen zur Größe einer Sprotte, einen solchen Durst erzeugten, daß die Frauen und Kinder ungeachtet der deutschen Granaten und Stoßtrupps aus den Kellern krochen, sich zwischen die Trümmer warfen und den verharschten Schnee aufleckten. Überall konnte man diese Gruppen sehen, in Ruinengassen, an Kellertreppen, zwischen zerschossenen Panzern und im Frost erstarrten Leichen … sie hockten da, aßen Schnee oder lutschten Eiszapfen. In ihren Gedärmen brannte und rumorte es, die Kehlen standen in Flammen, im Magen schwappte eine Salzlake. Freunde, es war fürchterlich, was die Armen zu leiden hatten. Dazu fluchten sie, verwünschten den Genossen Grodnidsche in die Hölle und drohten ihm, ihn nach der Befreiung Stalingrads vor ein Parteigericht zu bringen.
Iwan Grodnidsche saß im Keller des Parteipräsidiums der Stadt und hing finsteren Gedanken nach. Einer dieser Gedanken war besonders gemein. Er beschäftigte sich damit, den Keller des Magazins mit den Hühnerfuttersäcken von den Deutschen erobern zu lassen. Sie würden bestimmt über das Futtermehl herstürzen und es fressen … und dann brauchte die Rote Armee die deutschen Soldaten, die vor Durst brennend im Schnee herumkrochen, nur noch aufzusammeln wie betäubte Fliegen.
Der Volltreffer einer Fliegerbombe auf das Magazin vernichtete die Geheimwaffe Iwan Grodnidsches. Er war ganz froh darüber. Der Volltreffer befreite ihn von weiteren Gedanken.
»Dem Himmel sei Dank«, sagte er zu sich, und es war seit garantiert siebzehneinhalb Jahren das erste heilige Wort, das über seine Lippen kam.
Am frühen Morgen des 17. Januar saß Iwan Iwanowitsch Kaljonin müde in einem Trichter und rauchte. Er hatte die Spur Veras verloren. Außerdem war niemand mehr in der Stimmung, einem sein Weibchen Suchenden unter die Arme zu greifen. Man hatte noch immer Durst von dem Hühnermehl, und Durchfall dazu. Aus jedem Keller, in dem Kaljonin nachfragte, schlug ihm der Gestank voller Hosen entgegen. Ehrlich – wer so mit sich selbst beschäftigt ist, hat keinen Sinn für einen fragenden Ehemann. Kaljonin sah das ein und kroch in seinen Trichter.
Dort traf ihn Knösel, der wieder nach seinem Markierungstuch gesehen hatte. Er tat das jede Nacht, nachdem nach der ersten Bombe mit dem Bilde Stalins noch
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