Das Herz der Hoelle
jeder Hand hielt er jetzt eine Automatik.
»Hausfriedensbruch. Vernichtung von Beweisstücken. Nicht schlecht für den Anfang.«
»Was für Beweisstücke?« Ich verbarg die Kassette in der aufliegenden hohlen Hand. »Sie haben hier doch schon alles gefilzt.«
»Das ist egal, das soll Untersuchungsrichterin Magnan beurteilen.«
»Weshalb misstrauen Sie mir? Weshalb lehnen Sie meine Hilfe ab?«
»Ihre Hilfe?«
»Sie stecken in einer Sackgasse. Vor fünfzehn Jahren haben Ihre Kollegen nichts gefunden. Auch dieses Jahr sind Sie nicht weitergekommen. Das Fall Simonis ist noch immer ein Rätsel.«
Der Gendarm nickte nachsichtig. Er trug den vorschriftsmäßigen blauen Pullover mit einem weißen Streifen. Seine Tressen funkelten in der Dunkelheit.
»Ich hatte Sie aufgefordert zu verschwinden«, sagte er, während er seine Waffe wieder verstaute und meine in seinen Gürtel steckte.
»Weshalb arbeiten wir nicht zusammen?«
»Sie sind ein Dickkopf. Was haben Sie mit dem Fall Simonis zu schaffen?«
»Ich sage es Ihnen noch einmal. Ein Freund hat sich für diese Sache interessiert.«
»Märchen! Wenn Ihr Kumpel hier Nachforschungen angestellt hätte, wäre er mir aufgefallen.«
»Vielleicht war er diskreter als ich. Offenbar hat ihn niemand zu Gesicht bekommen.«
Der Gendarm wandte sich dem großen Fenster zu, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die Anspannung schien von ihm abzufallen. Vor ihm wurde Sartuis von der Dunkelheit verschluckt.
»Durey, die Tür ist hinter Ihnen. Sie können Ihre Waffe morgen Früh auf der Gendarmerie abholen, und dann verduften Sie. Wenn Sie sich mittags noch immer in Sartuis aufhalten, verständige ich den Staatsanwalt.«
Ich ging rückwärts in den Gang hinein und täuschte eine Mischung aus beherrschter Wut und Willfährigkeit vor. Kaum öffnete ich die Eingangstür, fuhr mir ein heftiger Windstoß ins Gesicht. Ich folgte der Straße bis zum Rondell.
Die Nacht war rein und klar. Der Himmel funkelte von Sternen. Ich erreichte die Sackgasse, in der ich meinen Wagen abgestellt hatte. Ich warf einen letzten Blick hinter mich, auf das Haus. Stéphane Sarrazin stand in der Tür und behielt mich scharf im Auge.
Ich schlüpfte in meinen Wagen und riskierte ein Lächeln.
Die Kassette war noch immer in meiner Hand.
KAPITEL 41
Seit sie das Mädchen fingen
Im Haus verirrter Schritte.
Nadeln von Kiefern, Nadeln aus Stahl
kann es nicht mehr singen …
Es war ein Abzählvers.
Gesungen mit wenigen Tönen.
Ein Singsang, der unecht klang. Vor allem die Stimme war unheimlich. Eine verkümmerte Stimme, weder tief noch hoch, weder männlich noch weiblich. Nur dissonant und zugleich merkwürdig sanft.
Ich hielt das Tonbandgerät an, das ich mir von Pater Mariotte geliehen hatte. Ich hatte mir die Kassette gut zwanzigmal angehört. Ich befand mich im Schlafsaal, dessen Tür ich zweifach verschlossen hatte.
Insgesamt waren drei Nachrichten aufgezeichnet worden, ohne Datum und ohne Kommentar. Mitteilungen des anonymen Anrufers, die Sylvie Simonis aufbewahrt hatte. Ich hatte sie bereits auf meinen Mac kopiert – den Ton und den Text. Niemand hatte mich über dieses merkwürdige Detail unterrichtet: Die anonymen Drohungen waren nicht gesprochen, sondern gesungen worden. Auf meinem Bett sitzend, umgeben von den beigefarbenen Vorhängen, drückte ich auf die Wiedergabetaste.
Das Mädchen ist in Gefahr,
Geschieht ihm recht, es ist verloren.
Es ist zu spät, die Stunde hat geschlagen.
Das Mädchen singt nie mehr …
Ich stellte mir den Mund vor, der solche Töne erzeugte, das Gesicht, zu dem diese Stimme gehörte. Ein entstellter Mensch, eine Tierfratze. Oder auch ein verwundetes, verbundenes, verschleiertes Gesicht … Ich erinnerte mich an das Rätsel des Sprachverzerrers, die Spur, die die Gendarmen verfolgt hatten und die den Verdacht auf Richard Moraz gelenkt hatte. Ich verstand nicht, wieso Lamberton und seine Männer sich auf diese Fährte so festgelegt hatten.
Ich hatte bereits durch Helium, Vocoder oder einen anderen elektronischen Filter verzerrte Stimmen gehört. Aber sie hatten nie wie diese Stimme geklungen. Sie besaßen nicht diesen timbrelosen, dissonanten und doch seltsam … natürlichen
Weitere Kostenlose Bücher