Das Herz der Hoelle
…«
Er pfiff voller Bewunderung.
»Und du?«
»Weiß noch nicht. Vielleicht über den Teufel.«
»Den Teufel?«
»Ja, als die triumphierende Kraft des 20. Jahrhunderts.«
»Was erzählst du da?«
Wir schlängelten uns durch mehrere Studentengruppen und gingen zu den Gärten im hinteren Teil des Hofs.
»Seit einiger Zeit interessiere ich mich für die Kräfte des Bösen.«
»Kräfte des Bösen?«
»Weshalb, glaubst du, ist Jesus auf die Erde gekommen?«
Ich antwortete nicht, weil ich die Frage als zu plump empfand.
»Er ist gekommen, um uns zu retten«, fuhr er fort. »Um uns von der Sünde zu erlösen.«
»Und?«
»Das Böse war demnach schon da. Lange vor Jesus. Eigentlich schon immer. Das Böse ist Gott immer vorausgegangen.«
Ich tat diesen Gedanken mit einer Handbewegung ab. Ich hatte nicht vier Jahre Theologie studiert, um mich auf eine so unausgegorene Argumentation einzulassen. Ich entgegnete:
»Das ist doch nichts Neues! Das Buch Genesis beginnt mit der Schlange und …«
»Ich rede nicht von der Versuchung. Ich spreche von der Kraft in uns, die auf die Versuchung anspricht, die sie rechtfertigt.«
Die Rasenflächen waren übersät von welken Blättern. Kleine dunkelbraune oder ockerfarbene Punkte, herbstliche »Sommersprossen«. Ich schnitt ihm das Wort ab.
»Seit Augustinus wissen wir, dass das Böse keine ontologische Wirklichkeit besitzt.«
»In seinen Werken verwendet Augustinus das Wort ›Teufel‹ 2300-mal, ganz abgesehen von den Synonymen …«
»Als Figur, Symbol, Metapher … Man muss die Zeit sehen. Aber eines ist sicher: Nach Augustinus kann Gott niemals das Böse erschaffen haben. Das Böse ist für ihn lediglich ein Mangel an Gutem. Eine Schwäche. Der Mensch ist geschaffen, um das Licht der Erkenntnis zu empfangen. Er ›ist‹ das Licht, da er Wissen um Gott ist. Er muss lediglich angeleitet und hin und wieder zur Ordnung gerufen werden. › Alle Lebewesen sind gut, denn ihrer aller Schöpfer ist vollkommen gut. ‹«
Luc seufzte hörbar.
»Wenn Gott so groß und mächtig ist, wie lässt sich dann erklären, dass Er durch einen bloßen ›Mangel‹ in Schach gehalten wird? Wie ist es zu erklären, dass das Böse überall ist – und jedes Mal triumphiert? Gott zu rühmen heißt, die Erhabenheit des Bösen zu rühmen.«
»Du lästerst Gott.«
»Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Grausamkeit, der Gewalt und der Zerstörung. Niemand kann das leugnen. Wie erklärst du das?«
Der Blick hinter seiner Brille missfiel mir. Seine Augen glänzten fiebrig. Ich antwortete nicht, weil ich nicht auf jenes große Rätsel eingehen wollte, das so alt ist wie die Welt: Die Anfälligkeit des Menschen für Gewalt, das Böse und Verzweiflung.
»Ich werde es dir sagen«, fuhr er fort, während er eine Hand auf meine Schulter legte, »weil das Böse eine eigenständige Kraft ist. Eine Macht, die dem Guten mindestens ebenbürtig ist. In der Welt ringen zwei gegensätzliche Kräfte miteinander. Und dieser Kampf ist noch lange nicht entschieden.«
»Das ist ein glatter Rückfall in den Manichäismus.«
»Und was spricht dagegen? In allen monotheistischen Religionen verbirgt sich Dualismus. Die Geschichte der Welt ist die Geschichte eines Duells. Ohne Schiedsrichter.«
Das Laub raschelte unter unseren Schritten. Meine Freude über den Beginn des Semesters war so gut wie verflogen. Ich hätte gut auf dieses Wiedersehen verzichten können. Ich beschleunigte meinen Schritt Richtung Immatrikulationsbüro.
»Ich weiß nicht, was du in den letzten Jahren studiert hast, aber du bist dem Okkultismus verfallen.«
»Im Gegenteil«, sagte er, während er mich einholte, »ich habe eingehend über die modernen Wissenschaften nachgedacht! Überall ist das Böse am Werk. Als eine physische Kraft und als eine psychische Bewegung. Das Gesetz vom Gleichgewicht, so einfach ist das.«
»Du rennst offene Türen ein!«
»Allzu oft vergisst man diese Türen unter dem Vorwand der Komplexität und der Tiefe. Auf kosmischer Ebene beispielsweise hat die negative Kraft die Oberhand. Denk nur an die gewaltigen Explosionen von Sternen, die schließlich zu schwarzen Löchern werden, zu Abgründen des Nichts, die alles in sich einsaugen, was ihnen in den Weg kommt …«
Mir wurde klar,
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