Das Herz der Hoelle
noch fünfzig Sachen nahm ich die Autobahnausfahrt bei Nogent-le-Rotrou und fuhr dann auf die Nationalstraße. Die aufgehende Sonne enthüllte die Physiognomie einer ländlichen Umgebung.
Hügel erhoben sich, Talmulden öffneten sich und von Raureif überzogene schwarze Felder schimmerten in der morgendlichen Klarheit. Ich öffnete die Fensterscheibe und atmete den Duft von Laub, den Geruch von Dung und die kalte Luft der Nacht ein, die nicht weichen wollte.
Noch dreißig Kilometer. Ich umfuhr Nogent-le-Rotrou und nahm eine Landstraße an der Grenze zwischen den Departements Orne und Eure-et-Loir. Nach zehn Kilometern tauchte auf der linken Seite ein Schild mit der Aufschrift »Petit-Vernay« auf. Ich bog in den schmalen Weg ein und fuhr etwa dreihundert Meter. In der ersten Kurve wurde ein weißes Holztor sichtbar. 7.45 Uhr. Ich könnte den Tathergang also auf die Sekunde genau rekonstruieren.
Ich stellte den Wagen ab und ging zu Fuß weiter. Petit-Vernay war eine ehemalige Wassermühle mit mehreren Gebäuden, die verstreut am Ufer des Flusses standen. Das Hauptgebäude war nur noch eine Ruine, aber die Nebengebäude waren renoviert und als Zweitwohnungen hergerichtet worden. Das dritte Haus rechts war das von Luc.
Zweihundert Quadratmeter Wohnfläche, ein recht großes Grundstück, und alles nur hundertdreißig Kilometer von Paris entfernt. Wie viel hatte Luc diese alte Bude vor sechs Jahren gekostet? Eine Million Franc? Mehr? Die Region Perche erfreute sich immer größerer Beliebtheit. Wo hatte Luc das Geld her? Ich erinnerte mich an einen Film von Fritz Lang, The Big Heat, der mit dem Selbstmord eines Polizisten anfing. Später stellte sich heraus, dass er korrupt gewesen war. Seine zu teure, zu luxuriöse Zweitwohnung hatte ihn verraten. Ich hörte die Stimme von Doudou: »Wenn du Scheiße aufwühlst, werden alle beschmutzt.« Luc, ein Polizist mit unsauberer Weste? Unmöglich.
Ich ging an dem Haus mit seinen drei Dachgauben vorbei und auf den Fluss zu. Die feuchten Gräser verströmten einen angenehmen Duft. Der Wind peitschte mein Gesicht. Ich knöpfte meinen Trenchcoat zu und ging weiter. Ein Hainbuchengestrüpp verbarg den Wasserlauf. Nur sein leises Rauschen, das an ein Kinderlachen erinnerte, verriet ihn.
»Was tun Sie da?«
Ein Mann trat aus dem Gebüsch hervor. Einsachtzig groß, Bürstenschnitt, schwarzer Anzug aus dickem Stoff. Mit seinem Stoppelbart und seinem zerzausten Haar ähnelte er eher einem Stadtstreicher als einem Bauern.
»Wer sind Sie?«, fragte er beim Näherkommen.
Unter seiner Jacke trug er lediglich einen durchlöcherten Pullover.
Ich schwenkte meinen blauweißroten Dienstausweis in der Sonne.
»Ich komme aus Paris. Ich bin ein Freund von Luc Soubeyras.«
Die Auskunft schien den Mann zu beruhigen. Seine kleinen Augen schimmerten graugrün.
»Ich habe Sie für einen Notar oder einen Anwalt gehalten. Einer jener Schurken, die mit Leichen Kohle machen.«
»Luc ist nicht tot.«
»Das verdankt er mir.« Er kratzte sich im Nacken. »Ich bin Philippe, der Gärtner. Ich habe ihn gerettet.«
Ich gab ihm die Hand. Er hatte braune und grüne Tabak- und Grasflecken an den Fingern. Er roch nach Erde und kalter Asche. Außerdem hatte er eine leichte Fahne. Kein Wein, eher Calvados oder ein anderer Schnaps. Ich gab mich kumpelhaft:
»Haben Sie etwas zu trinken?«
Er blickte abweisend. Ich bedauerte meine List – allzu voreilig. Ich zog meine Camel heraus und bot ihm eine an. Er schüttelte den Kopf und musterte mich noch immer aus den Augenwinkeln. Schließlich zündete er sich eine seiner Gitanes maïs an.
»Bisschen früh, um zu picheln, oder?«, grummelte er.
»Nicht für mich.«
Er lächelte spöttisch und zog einen verrosteten Flachmann aus der Tasche. Er hielt ihn mir hin. Ohne zu zögern, nahm ich einen Schluck von dem brennenden Fusel. Der Mann wollte wissen, was ich aushielt. Meine Reaktion schien ihn zufriedenzustellen, und er genehmigte sich seinerseits einen kräftigen Schluck. Er schnalzte mit der Zunge und steckte den Flachmann wieder ein:
»Was wollen Sie wissen?«
»Die Einzelheiten.«
Philippe seufzte und setzte sich auf einen Baumstumpf am Ufer. Ich folgte ihm. Der Gesang von Vögeln hallte durch die frostige Luft.
»Ich hab den Soubeyras gemocht. Keine Ahnung, was in ihn gefahren ist.«
Ich lehnte mich
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