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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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oder einem romantischen Zeitalter galt, sondern einer vergangenen industriellen Epoche. Man sehnte sich hier nicht nach der stillen Beschaulichkeit eines Sees, nach stürmischen Leidenschaften, sondern nach dem Aufschwung der sechziger Jahre, dem Lärm von Maschinen, der Hochzeit der Fiat- und Pirelli-Imperien. In diesem Tal, in dem sich kein Lüftchen regte, träumte man noch immer den guten alten Traum des Großindustriellen, der zurückgezogen in seiner modernen Villa lebt und mit dem Projekt liebäugelt, eine neue Welt voller Maschinen, Rauchschwaden und Lire aufzubauen.
       Corso Porta Vittoria.
       Der Justizpalast war ein massiver Block mit hohen viereckigen Säulen. Die ganze Umgebung schien sich seiner strengen Geometrie zu fügen. Die Telefonzellen, die rechtwinklig in die Pflastersteine eingelassen waren, die Gleise der orangefarbenen Straßenbahnen, die im rechten Winkel zu den Umrisslinien des Gebäudes verliefen.
       Punkt 11 Uhr. Ich stieg aus dem Wagen und ging durch die Tür des New Boston, gegenüber dem Palast, an der Ecke der Via Carlo Freguglia.
       Jeder meiner Schritte klang wie ein Wunder.

KAPITEL 55
    »Du scheinst bestens in Form zu sein.«
       Giovanni Callacciura war ein Meister des trockenen Humors. Er war ein großer, kräftiger Norditaliener mit hoher Stirn und einem schmalen Oberlippenbart über einem Schmollmund. Von Kopf bis Fuß in Prada gekleidet, war er schmaler, als es sein rundes Gesicht vermuten ließ. Er trug an diesem Tag eine enge Hose aus grauer Wolle, einen Rollkragenpullover aus braunem Kaschmir und ein gestepptes marineblaues Jackett. Er schien direkt einer Auslage des Corso Europa entstiegen zu sein.
       Ich deutete auf den Stuhl vor mir. Der Staatsanwalt setzte sich und bestellte einen Kaffee. Das New Boston war eine typische »Gelateria«: lange Theke, vermischter Duft von Kaffee und Marmelade, Panini und Croissants, die in hohen verchromten Salatschüsseln angerichtet waren. Die Stühle waren dunkelviolett und die Tischtücher rosa. Jeder Tisch glich einer riesigen Lutschtablette.
       »Erzähl mir von deiner verrückten Nacht«, sagte er, während er seine Sonnenbrille abnahm.
       »Zuerst du: Weißt du, ob die Typen erwischt wurden?«
       »Sie sind verschwunden.«
       »Verschwunden? Ein paar Kilometer von der Grenze entfernt?«
       »Du hast dich gut im Unterholz versteckt.«
       Ich trank einen Schluck Kaffee. Eine pechschwarze Brühe. Ich betrachtete das Schokocroissant, das ich bestellt hatte, rührte es aber nicht an.
       »Darf man hier rauchen?«, fragte ich.
       »Nicht mehr lange.«
       Callacciura zog einen Zigarillo heraus und schob mir dann die Schachtel Davidoff hin. Die Warnungen setzten sich auf dieser Seite der Grenze fort: »FUMARE UCCIDE«. Der Staatsanwalt bemerkte meine von der Kälte bläulich verfärbten Finger:
       »Willst du zu einem Arzt gehen?«
       »Alles in Ordnung.«
       »Was ist gestern Abend passiert?«
       Ich schilderte ihm in knappen Worten die Verfolgungsjagd, wobei ich wichtige Details hinzufügte: das professionelle Vorgehen der Killer, ihr Sturmgewehr … Ohne mich verschnaufen zu lassen, bedrängte mich Giovanni:
       »Erzähl mir von den Nachforschungen, die dich hierherführen.«
       Ich schilderte den Mord an Sylvie Simonis, den Kindsmord vierzehn Jahre zuvor, die rätselhafte Verbindung zwischen den beiden Verbrechen. Ich erwähnte auch, dass ich mich mit Sarrazin-Longhini zusammengetan hatte, dem auf Rache sinnenden Gendarmen, der mir nur zu fünfzig Prozent vertrauenswürdig erschien. Den Ausgangspunkt des Albtraums – Luc Soubeyras und seinen Selbstmordversuch – ließ ich aus, um das Ganze nicht noch verwirrender zu machen.
       Callacciura schwieg eine gute Minute lang. Er öffnete und schloss die Bügel seiner Sonnenbrille, einen Zigarillo im Mund. Schließlich sagte er:
       »Schwer, das alles unter einen Hut zu bringen.«
       Ich massierte mir den Nacken, der mir noch immer wehtat.
       »Vor allem, wenn ich mich vorbeuge.«
       Er machte sich nicht die Mühe zu lächeln. Er fuhr mit der Hand in seine Aktentasche und zog einen ziemlich dünnen roten Ordner heraus.
       »Das ist alles, was ich habe. Mailand liegt weit weg von Sizilien. Als du mir gestern von deiner Geschichte erzählt hast, hat es bei mir nicht Klick gemacht. Dabei hat der Mord vor zwei Jahren für ziemliches Aufsehen gesorgt. Zunächst haben wir geglaubt, dass es

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