Das Herz der Hoelle
deutschen Western der sechziger Jahre.
»Das war er«, sagte sie, nachdem sie aufgelegt hatte. »Er ist in seinem Büro. Sie können zu ihm gehen. Er ist sehr sympathisch. Viel Glück.«
Ich machte einen Schritt zurück. Sie fragte:
»Kommen Sie wieder?«
Zwischen ihren seidigen schwarzen Strähnen kniff sie die Augen zusammen. Sie waren grün – von einem hellen, leicht gelblichen Grün.
»Das ist unwahrscheinlich«, antwortete ich. »Aber ich werde Ihr Lächeln in Erinnerung behalten.«
Das war die einzige richtige Antwort. Klar und optimistisch. Sie lachte und meinte dann:
»Hinter Ihnen. Durch den Gang. Die Tür am Ende.«
Ich drehte mich um. Schon nach wenigen Schritten hatte ich das Mädchen, die Augen, alles wieder vergessen. Mein ganzes Sinnen und Trachten war auf die neue Etappe ausgerichtet.
Ich klopfte an die Tür und erhielt sogleich eine Antwort. Als ich auf die Klinke drückte, betete ich, dass Manon noch lebte.
Der Mann stand in dem weißen Zimmer und räumte Akten in einen Metallschrank. Er war stämmig und knapp 1,65 Meter groß. Eine große Brille, eine Frisur mit langem Pony. Die Ähnlichkeit mit Elton John war verblüffend, außer dass seine Haare grau waren. Er musste um die sechzig sein, aber seine Kleidung – ausgewaschene Jeans und weißer Wollpullover – erinnerte eher an einen Studenten in Berkeley. An den Füßen trug er Stan Smith. Ich erkundigte mich:
»Sie sind doch Moritz Beltreïn?«
Er nickte und zeigte dann auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch:
»Setzen Sie sich«, befahl er, ohne von der Akte aufzusehen, die er in der Hand hielt.
Ich rührte mich nicht. Einige Sekunden vergingen. Ich musterte ihn noch immer. Er war von kräftiger Gestalt, als wäre sein Knochenbau besonders dicht und kompakt. Schließlich blickte er auf:
»Was kann ich für Sie tun?«
Ich stellte mich in kurzen Worten vor. Name. Herkunft. Beruf. Die Miene des Chirurgen, die zur Hälfte durch den Pony und die Brille verdeckt war, verriet keinerlei Regung.
»Ich frage Sie noch einmal«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich interessiere mich für Manon Simonis.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Seine dicken Backenknochen berührten das übergroße Brillengestell. Die Brille funkelte, aber die getönten Gläser waren undurchsichtig.
»Habe ich etwas Witziges gesagt?«
»Seit vierzehn Jahren warte ich auf jemanden wie Sie.«
»Wie mich?«
»Jemanden, der nicht unmittelbar mit dem Fall zu tun hatte, aber schließlich die Wahrheit erkannt hat. Ich weiß nicht, welchen Weg Sie genommen haben, aber Sie sind am Ziel.«
»Sie lebt, nicht wahr?«
Schweigen. Es war wie eine kosmische Weichenstellung. Ein Dreh- und Angelpunkt, der, wie ich spürte, meinem Leben eine neue Richtung geben würde.
»Sie lebt, ja oder nein?«
»Als ich Manon begegnet bin, war sie tot. Aber nicht so vollständig, dass ich sie nicht hätte wiederbeleben können.«
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen. Wie in Trance hörte ich mich sagen:
»Erzählen Sie mir die ganze Geschichte. Es ist sehr wichtig.«
Mein eindringlicher Ton hatte mich verraten. Er fragte verdutzt:
»Für Ihre Ermittlungen oder für Sie selbst?«
»Was macht das für einen Unterschied?«
»Wie weit sind Sie in Ihren Ermittlungen?«
»Das werde ich Ihnen sagen, wenn Sie mir erzählt haben, was Sie wissen. Denn das entscheidet darüber, was alles andere bedeutet.«
Er nickte zögernd mit dem Kopf. Er hatte verstanden. Er verstaute den Ordner, den er in der Hand hielt, und stieß dann einen tiefen Seufzer aus, als müsste er einer lästigen Pflicht nachkommen. Er setzte sich mir gegenüber:
»Sie kennen den Fall, ich meine: aus kriminalpolizeilicher Sicht. Sie wissen, dass sich die Suche nach dem Tipp eines anonymen Anrufers auf einen Brunnen konzentrierte, in dem …«
»Ich kenne die Akten auswendig.«
»Die Gendarmen begannen also mit den Brunnen, die dem Stadtviertel Corolles am nächsten lagen. Sie wurden bereits von einem Notfallteam begleitet. Als der Notarzt dann das Kind untersuchte, stellte er seinen Tod fest. Starre Pupillen, Herzstillstand, eine Kerntemperatur von dreiundzwanzig Grad. Das Kind war zweifelsfrei tot. Doch der Notarzt, ein Mann namens Boroni, hatte im
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