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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Manon, um die anderen ungelösten Probleme besser beiseiteschieben zu können. Wenn sie wirklich noch lebte, wie war ihr Leben dann wohl verlaufen?
       Ich versank noch tiefer in meinen Grübeleien, vergaß Manon und wandte mich Luc zu. War er noch weiter gegangen als ich? Hatte er die mittlerweile zweiundzwanzigjährige Manon lebend aufgespürt? Hatte ihn diese Entdeckung in den Selbstmord getrieben?
       Ich wachte beim ersten Licht des Tages auf.
       8.30 Uhr. Ich zog mich an und stopfte meine Klamotten vom Vortag in meine Reisetasche. Dann ging ich hinunter und trank einen Kaffee im leeren Restaurant des Hotels. Ich überflog die Tageszeitungen. Nichts über die Morde an Buchholz und Moraz ­  Lourdes war fast tausend Kilometer entfernt. Nichts über die Leiche von Sarrazin. Aber dazu war es einfach noch zu früh.
       Einen Tag gewonnen, um mir eine Strategie auszudenken.
       Die Geschichte der Rettung Manons zurückverfolgen.
       Dreißig Minuten später hielt ich vor der Kaserne der Feuerwehr von Sartuis. Am Himmel ein paar weiße Wolken. Alles wirkte ruhig. Die Neuigkeit vom Tod Sarrazins hatte sich noch nicht herumgesprochen. Niemand plauderte im Hof, niemand hatte mit weit aufgerissenen Augen sein Handy am Ohr.
       Ein Samstag wie jeder andere.
       Vor Kälte zitternd, ging ich um das Hauptgebäude herum. Vor dem linken Seitenflügel spritzte ein junger Feuerwehrmann mit Bürstenschnitt lustlos die Betonplatten mit einem Schlauch ab. Ich rief ihm zu. Er schaltete seinen Kärcher-Hochdruckreiniger aus, wobei er erst nach mehreren Anläufen den Wasserschwall stoppen konnte. Dann fragte er mit Fistelstimme, während er auf meinen Dienstausweis starrte:
       »Worum geht es?«
       »Eine alte Geschichte. Manon Simonis. Ein kleines Mädchen, das im November 1988 ertränkt wurde. Ich suche die Angehörigen des Rettungsteams, die den Leichnam geborgen haben.«
       »Also dann müssen Sie mit dem Commandant sprechen, er …«
       »Was ist hier los?«
       Ein untersetzter Mann tauchte hinter dem Feuerwehrmann auf. Um die fünfzig, ein Alter, das seinem Gesicht deutlich anzusehen war, wirres Haar, eine Knollennase. Silberne Tressen funkelten auf den Epauletten seines Pullovers.
       »Commandant Mathieu Durey«, versetzte ich mit grimmiger Stimme. »Ich ermittle im Mordfall Manon Simonis.«
       »Aus welchem Anlass? Die Tat ist lange verjährt.«
       »Es gibt neue Erkenntnisse.«
       »Sieh an. Was für welche?«
       »Das kann ich nicht sagen.«
       Ich log skrupellos, aber ich brauchte die Information um jeden Preis. Alles andere war nebensächlich. Der Offizier runzelte die Stirn in der morgendlichen Helligkeit. Tausend Falten umspielten seine Augen. Er fragte verdutzt:
       »Weshalb kommen Sie zu uns?«
       »Ich möchte die Feuerwehrleute befragen, die an der Bergung des Kindes beteiligt waren.«
       »Ich war damals dabei. Was möchten Sie wissen?«
       »Erinnern Sie sich noch, in welchem Zustand sich der Körper Manons befand?«
       »Ich bin kein Arzt.«
       »War das Mädchen tatsächlich tot?«
       Der Offizier warf dem Anwärter einen erstaunten Blick zu. Ich bohrte nach:
       »Ist es ausgeschlossen, dass Manon wiederbelebt wurde?«
       Er schien enttäuscht zu sein. Offenbar glaubte er jetzt, es mit einem Verrückten zu tun zu haben.
       »Die Kleine hatte mindestens eine Stunde im Wasser gelegen«, antwortete er. »Ihre Körpertemperatur war unter die kritische Schwelle von zwanzig Grad gesunken.«
       »Ihr Herz schlug nicht mehr?«
       »Als wir sie aus dem Wasser gezogen haben, zeigte sie keinerlei Lebenszeichen. Bläuliche Haut. Erweiterte Pupillen. Was brauchen Sie noch?«
       Ich zitterte in meinem Trenchcoat noch immer vor Kälte. Ich fragte weiter:
       »Wohin wurde die Leiche gebracht?«
       »Keine Ahnung.«
       »Haben Sie nicht mit dem Notarzt gesprochen?«
       Sein Blick pendelte rasch zwischen mir und seinem Untergebenen hin und her, dann räumte er ein:
       »Alles ging sehr schnell. Ein Rettungshubschrauber ist gekommen.«
       In Gedanken versuchte ich mir die damalige Situation noch einmal bildlich zu vergegenwärtigen:
       12. November 1988, 19 Uhr. Prasselnder Regen. Die Gendarmen entdecken die Leiche auf dem Gelände der Kläranlage. Die Feuerwehrmänner begeben sich unverzüglich in den Brunnen. Die Trage wird im Licht von Scheinwerfern und Blaulichtern hinaufgezogen.

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