Das Herz der Hoelle
kontinuierlichen Pfeifen begleitet wurde. Luc hatte im Geiste seinen Tod ein weiteres Mal erlebt – und zwar derart intensiv, dass er ein weiteres Mal gestorben war.
Die Krankenschwestern folgten Thuillier auf den Fersen. Alle machten sich in der Nähe des fahrbaren Tischs zu schaffen. Der Neurologe verstellte die Rückenlehne des Sessels und befahl:
»Adrenalin, zweihundert Milligramm.«
Zucca stand über Luc gebeugt. Er wiederholte:
»Antworten Sie mir, Luc. Folgen Sie meiner Stimme!«
In der Kabine pfiff das EKG wie ein Wasserkessel. Das Rascheln der Kittel drang, verstärkt durch die Mikrofone, zu uns herüber. Wir wurden ebenfalls ganz unruhig, wussten aber nicht, was wir tun sollten. Zucca schrie:
»LUC! ANTWORTEN SIE MIR!«
Thuillier stieß ihn mit der Schulter zur Seite.
»Mach Platz. Mein Gott, der schiebt ab. Die Spritze, schnell!«
Eine Krankenschwester reichte dem Arzt die Spritze, dann drückten sie Lucs Oberkörper, der so hart wie ein Baumstumpf zu sein schien, nach unten. Eine andere Frau hielt die Plattenelektroden des Defibrillators hoch – hektisches Stimmengewirr, das sich mit dem schrillen Pfeifen des Physiogards vermischte. Thuillier fluchte vor sich hin:
»Verdammter Mist … Der nibbelt uns unter den Fingern ab.«
Zucca beugte sich noch immer über Luc, dessen Handgelenke er umfasste:
»LUC! ANTWORTEN SIE MIR!«
»Ich bin da.«
Alle erstarrten. Zucca, der sich über den Körper beugte; Thuillier, die Spritze in der Luft; die Krankenschwestern, die in ihren Bewegungen innehielten. In der Kabine piepste das Elektrokardiogramm wieder ganz langsam und regelmäßig.
Die Hypnotiseur schnaufte:
»Luc, hören Sie mich?«
Luc antwortete nicht sofort. Sein Kopf war nach hinten gekippt. Ich stellte mir seine geschlossenen Augen, seine roten Brauen und die versteinerte untere Gesichtshälfte vor. Das war nur noch die körperliche Hülle Lucs. Der Mensch selbst war irgendwo anders. Eine hohle Stimme sagte:
»Ich höre Sie.«
Zucca bedeutete Thuillier, in die Kabine zurückzugehen. Widerwillig gehorchte der Neurologe. Die Krankenschwestern legten ihre Utensilien schweigend hin und taten es ihm gleich. Jeder kehrte an seinen Platz in der Kabine zurück.
Der Psychiater stellte die Rückenlehne von Lucs Sessel vorsichtig gerade und setzte sich wieder hin.
»Wo sind Sie, Luc? Wo sind Sie … jetzt?«
»Ich habe meinen Körper verlassen.«
Die Stimme klang hohl und düster. Zucca sagte nichts mehr. Bestimmt sammelte er seine Gedanken – und zog daraus dieselben Schlussfolgerungen. Die Nahtod-Erfahrung begann.
»Was sehen Sie?«
»Ich sehe mich, mich. Tief im Wasser. Ich treibe auf einen Felsen zu.«
»Was empfinden Sie? Anders gesagt: Was empfindet derjenige, der sich außerhalb Ihres Körpers befindet?«
»Ich treibe. Ich bin schwerelos. Ich sehe ein Licht.«
»Beschreiben Sie es.«
»Weiß. Groß. Riesig.«
Erleichterung machte sich in der Kabine breit. Das Licht sprach für eine »klassische« Halluzination. Ein Albtraum blieb uns erspart.
Aber Luc richtete sich auf:
»Es verschwindet … Ich …« Er fuhr mit leiser Stimme fort. »Es ist nur noch ein Punkt … ein Stecknadelkopf … Am Ende eines Tunnels … Ich glaube, ich bin es, der sich mit großer Geschwindigkeit entfernt … Ich …«
Luc stieß eine Art Röcheln aus. Seine Stimme überschlug sich:
»Ich entferne mich … Alles ist schwarz … Ich … Nein, einen Moment noch …«
Er schluckte mit Mühe. Das Gesicht von rechts nach links drehend, rang er in kurzen, quälenden Zügen nach Luft.
»Das Licht kommt zurück … Es ist rot …«
»Sehen Sie genauer hin … Beschreiben Sie dieses Licht.«
»Es ist matt … verschwommen … Es lebt.«
»Wie das?«
»Es blinkt …«
»Wie ein Scheinwerfer, ein Signal?«
»Nein … Es schlägt … wie ein Herz …«
Immer tiefere Stille in der Kabine. Unsere Faszination füllte das Zimmer aus. Ein ständig steigender Druck, der die Glasscheibe zum Bersten bringen könnte. Ich betrachtete das rubinrote Licht an einem Finger Lucs. Es war wie ein mattes Abbild des Fanals, von dem er sprach.
»Es ruft mich … Das Licht ruft mich …«
»Was tun Sie?«
»Ich gehe darauf zu. Ich schwebe in einem
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