Das Herz der Hoelle
Gang.«
»Beschreiben Sie den Gang.«
»Seine Wände sind lebendig.«
»Was bedeutet das?«
Luc stieß ein höhnisches Lachen aus, dann bäumte er sich auf, als würde ihm der Rücken wehtun:
»Die Mauern … Sie bestehen aus Gesichtern … Gesichtern, die im Schatten lauern, bereit, herauszuspringen … Sie leiden …«
»Hören Sie ihre Schreie?«
»Nein. Sie stöhnen … Sie haben Schmerzen. Sie haben keinen Mund, sondern Wunden …«
Ich dachte an die Verse Dantes: die »Heimstatt aller Plagen«, wo »Seufzer, Weh- und Schreckenslaute durch die Lüfte hallen«. Ich dachte an die Erlebnisberichte im Vatikan. Luc hatte sein Ziel erreicht – eine höllische Nahtod-Erfahrung zu erleben. Er war ein Lichtloser geworden.
»Sehen Sie noch immer das rote Licht?«, fragte Zucca nach.
»Es kommt näher.«
»Und jetzt?«
Luc antwortete nicht. Schweiß perlte ihm von der Stirn. Er schien in sich selbst hinabzusteigen, seine innersten physischen und geistigen Schichten zu durchqueren …
»Was sehen Sie, Luc?«
Ich hatte den Eindruck, dass sich in der Kabine ein Geruch ausbreitete. Ein beißender Arzneigeruch, wie von einer Mischung aus Kampfer und Exkrementen. Ich erkannte ihn sogleich wieder: Genau so hatte Agostina in Malaspey gerochen. Luc lachte laut auf. Der Psychiater schlug einen schärferen Ton an:
»Was sehen Sie?«
Luc streckte die Hand aus, als wollte er etwas berühren. Seine Stimme wurde schwächer, so dünn, dass sie kaum noch wahrnehmbar war:
»Das rote Licht … Es ist eine Wand. Raureif … Oder Lava … Ich weiß es nicht. Dahinter bewegen sich Formen …«
»Was für Formen?«
»Sie kommen und gehen, ganz nahe an der Wand. Man könnte meinen … Man könnte meinen, sie schwimmen … in eiskaltem Wasser. Zugleich spüre ich, dass es darunter glühend heiß ist, wie in einem Krater …«
Eine Eiskruste, die den reinen Schmerz bewahrt. Ein rötlich schimmerndes Magma, in dem die Seelen in ewiger Agonie eingeschlossen sind. Der »Krater« Lucs glich einer Tür zu einer üppigen, unendlichen, zeitlosen Welt. Der Hölle?
»Beschreiben Sie, was Sie sehen. Auch wenn es sich nur um Bruchstücke, Ausschnitte handelt.«
»Ich sehe … ein Gesicht … Es brennt. Ich spüre seine Hitze …«
»Beschreiben Sie das Gesicht, Luc. Konzentrieren Sie sich!«
»Ich kann nicht. Ich spüre die Hitze und die Kälte. Ich …«
»Hören Sie auf das, was ich sage, und halten Sie fest, was Sie sehen …«
Luc wand sich in seinem Sessel. Die Kabel um seinen Schädel vibrierten. Sein Gesicht zuckte in panischem Entsetzen.
»Folgen Sie meiner Stimme, Luc!«
»Augen … blutunterlaufene Augen hinter der Eisschicht …« Luc standen Tränen in den Augen. »Das Gesicht … es ist verwundet … Ich sehe Blut … aufgerissene Lippen … zerschnittene Wangen … Ich …«
»Fahren Sie fort. Folgen Sie meiner Stimme.«
Sein Kopf sackte auf seine Brust.
»Luc?«
Seine Augen standen offen. Tränen rollten ihm über die Wangen. Gleichzeitig lächelte er. Er schien nicht mehr zu leiden, keine Angst mehr zu haben. Sein Gesicht strahlte. Er glich einem jener Heiligen auf Renaissance-Gemälden, deren Antlitz von einem Strahlenkranz umgeben ist.
»Was ist los?«
Das Lachen wurde zu einem hämischen, gehässigen Grinsen:
»Er ist da.«
Etwas Unbeschreibliches schlich sich ins Zimmer. Der Fäulnisgeruch schien stärker zu werden. Ich blickte die anderen an. Corine Magnan zitterte. Levain-Pahut kratzte sich im Nacken. Der Exorzist Katz fingerte an seinem Rituale Romanum herum, bereit, es aufzuschlagen.
»Luc, wer ist da? Von wem sprechen Sie?«
»Keine solchen Fragen!«
Lucs Stimme hatte sich wieder verändert. Er keifte den Psychiater an, der sich jedoch nicht einschüchtern ließ:
»Schildern Sie mir, was Sie sehen.«
Luc feixte mit gesenktem Kopf. Mit hasserfüllten Augen starrte er Zucca von unten an:
»Ich habe gesagt: Keine solchen Fragen.«
Zucca beugte sich wieder vor. Der eigentliche Kampf begann erst:
»Sie haben keine Wahl, Luc. Folgen Sie meiner Stimme, und beschreiben Sie mir, wer sich hinter der dünnen Eis- oder Lavawand befindet.«
Luc zog eine Grimasse. Sein Gesicht war jetzt hässlich, kalt, böse.
»Das Eis ist
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