Das Herz der Hoelle
fuhr ein kurzes Stück hinein. Ich stieg aus und tauchte mein Gesicht in das Laub und die Nadeln, mit denen ich es abrubbelte, bis es zu bluten anfing. Ich zog meinen Mantel aus, schüttelte und klopfte ihn ab. Ich streifte mir das Hemd vom Körper und pickte die letzten Maden zwischen den nassen Falten heraus. Mit kältegeröteter Haut, von Krämpfen geschüttelt, fiel ich endlich auf die Knie und hoffte, der Wind würde mich vom Tod und von den Sünden reinigen. Ich flehte den Sturm an, meine Seele zu läutern …
Abstumpfung. Verlust des Zeitgefühls. Mit nacktem Oberkörper verharrte ich reglos im eisigen Wind, ohne dass ich irgendetwas spürte. Dann zeichnete sich langsam ein Bild in meinem Bewusstsein ab. Camille und Amandine, nach dem Aufwachen in ihren Hemdchen, verschlafene Gesichter, Kuscheltiere in den Händen, schütten sich Cornflakes in eine Schale. Das Gesicht gegen den Humus gepresst, fing ich an zu schluchzen.
Wie viel Zeit war verstrichen? Keine Ahnung. Ich stand mühsam auf. Mit den Zähnen klappernd, schleppte ich mich zum Wagen. Ich ließ den Motor an und drehte die Heizung bis zum Anschlag auf. Nach einer Ewigkeit, während die Wärme mich wieder zu mir selbst brachte, rief ich Foucault an.
»Ich bin’s«, sagte ich röchelnd. »Habt ihr Manon gefunden?«
»Nein.«
»Hast du in meiner Wohnung nachgeschaut?«
»Dort ist sie nicht. Überall wimmelt es von Polizei, Mann. Alles, was in Paris Uniform trägt, ist hinter ihr her!«
Der Gedanke tat mir weh. Ich sah sie vor mir, verloren in der Stadt, wie sie sich im Schatten von Hauseingängen an die Wand drückte und unter das Freitagabendgetümmel mischte. Warum rief sie mich nicht an? Warme Luft erfüllte mittlerweile den Fahrgastraum, aber ich bibberte noch immer.
»Und Luc?«
»Den muss man hinter doppelten Gittern einsperren, bevor man es ihm sagt.«
»Wer sagt’s ihm?«
»Keine Ahnung. Die Ärzte oder Levain-Pahut.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass mir das erspart blieb. Ich dachte wieder an die beiden kleinen Mädchen. Zwei reizende Geschöpfe waren von der Erde verschwunden. Ich erkannte jetzt das besondere Gesicht meiner Verzweiflung.
Ruanda.
Die Verzweiflung über die Abwesenheit Gottes.
»Und du«, fuhr Foucault fort, »wie weit bist du?«
»Es gibt einen weiteren Toten.«
»In der Schweiz?«
»Ich gebe dir die Adresse durch. Informier die Polizei in Lausanne.«
»Wer ist es?«
»Moritz Beltreïn. Ein Arzt.«
»Was ist passiert?«
»Schreibst du mit?«
Ich diktierte ihm die Anschrift der Villa Parcossola und meinte:
»Ruf aus einer Telefonzelle an. Anonym.«
Das Bild des von Fliegen übersäten Arztes kehrte wieder.
»Und sag ihnen, sie sollen sich ranhalten, wenn sie noch etwas von der Leiche finden wollen.«
»Wieso?«
»Das sehen sie dann selbst.«
»Wann kommst du zurück?«
»Heute Nacht, mit dem Auto. Foucault, du musst Manon vor den anderen finden.«
Sein Seufzen verriet Erschöpfung und Resignation:
»Wenn ich sie aufstöbere, liefere ich sie aus.«
»Nein, du behältst sie bei dir, bis ich zurückkomme! Wir führen sie zusammen einem Richter vor.«
Foucault verabschiedete sich murrend. Ich fuhr wieder auf die Straße nach Lausanne. Allmählich wurde ich ruhig, eine Ruhe, die aus einer völligen inneren Leere erwuchs. Ein posttraumatischer Zustand. Ich konzentrierte mich auf die Lichter der Autobahn. Diese Anstrengung nahm mich ganz in Beschlag.
In der Gegend von Vevey läutete mein Handy.
»Ich bin’s.«
Mir stockte das Herz.
Die Stimme Manons.
»Wo bist du?«
»Bei Mama.«
»Wo?«
»Bei Mama, in Sartuis.«
Ich versuchte mir einen Reim auf ihre Worte zu machen. Es gelang mir nicht, und so klammerte ich mich an ein praktisches Detail:
»Hast du den Zug genommen?«
»Gare de L’Est.«
»Um wie viel Uhr?«
»Ich weiß nicht. Als ich aus dem Büro der Richterin gekommen bin.«
»Bist du direkt zum Bahnhof gegangen?«
»Ja.«
»Warst du nicht in Lucs Wohnung?«
»Nein. Wieso?«
Ichdachte an ihre Fingerabdrücke in der Wohnung in der Rue Changarnier.
»Du bist nie dort gewesen?«
»Nein!«
Eines ließen ihre Antworten klar erkennen: Dass sie nichts von
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