Das Herz der Hoelle
oder er blickte nach oben, als würde er intensiv nachdenken. All das war bloßes Theater: Said kannte seine Antworten schon, bevor er die Fragen gehört hatte. Unterdessen hatte er meine Frage noch immer nicht beantwortet.
»Hat Luc euch zu diesem Mord vernommen, ja oder nein?«
»Natürlich. Wir kennen uns in dem Viertel bestens aus. Die Leute, das Kommen und Gehen, all das. Aber in dem Fall wussten wir nichts. Ich schwör’s Ihnen, Kommissar. Der Tod Massines ist völlig rätselhaft.«
Ich gab Momo durch eine Geste zu verstehen, dass ich gern noch einen Kaffee hätte. Said begann mir mit seinem öligen Tonfall auf die Nerven zu gehen. Trotz seiner Höflichkeit hatte ich das bestimmte Gefühl, dass er mich für dumm verkaufen wollte. Ich sah ihm direkt in die Augen: Die beste Strategie war »keine Strategie«. Kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Hör mir zu, Said. Luc ist mein bester Freund, okay?«
Said rührte mit seinem Teelöffel langsam den Kaffee in seiner Tasse um und schwieg.
»Niemand hat dieses Unglück kommen sehen. Vor allem nicht ich. Daher möchte ich wissen, warum er das getan hat. Was ihm durch den Kopf ging, worauf er bei seinen Ermittlungen gestoßen war. Hast du mich verstanden?«
»Hundert Pro, Kommissar.«
»Er ermittelte allein über Larfaoui, und der Fall scheint ihm ziemlich zugesetzt zu haben. Ich glaube, dass er in dem Saustall etwas gefunden hat. Etwas, was zu seiner Verzweiflung beigetragen hat. Also streng mal deinen Grips an und gib mir einen Tipp!«
Ich hatte fast geschrien. Ich hustete und beruhigte mich wieder. Doch Said gab sich völlig unbeeindruckt und schüttelte abwiegelnd seinen glatten Haarschopf.
»Ich weiß nichts über diesen Mord.«
»Hatte Larfaoui keine Schwierigkeiten mit anderen Bierbrauern?«
»Nie davon gehört.«
»Und mit einem Wirt? Ein Typ, der über beide Ohren verschuldet ist und sich rächen wollte?«
»So läuft das nicht bei uns, das wissen Sie genau.«
Said hatte recht. Larfaoui war von einem Profi umgelegt worden. Ein Kneipenwirt hätte sich niemals einen echten Killer leisten können.
»Larfaoui war nicht bloß Bierbrauer. Er handelte auch mit Drogen.«
»Also, da kann ich Ihnen nicht helfen. Wir haben nichts mit Drogen am Hut.«
Ich änderte meine Taktik.
»Als Luc euch befragt hat, hatte er da schon irgendeine Spur in dem Mordfall?«
»Schwer zu sagen.«
»Denk nach!«
Er tat so, als würde er in sich gehen, indem er seinen berühmten Blick zur Decke aufsetzte, und sagte dann:
»Er ist zwei Mal gekommen. Das erste Mal im September, gleich nach dem Mord. Und dann Anfang dieses Monats. Er war völlig von der Rolle.«
»Hat er sich dir anvertraut?«
»Fünf Wodka in weniger als einer halben Stunde, das ist auch eine Art, sein Herz auszuschütten.«
Luc hatte immer eine Schwäche für Alkohol gehabt. Es verwunderte mich nicht zu hören, dass er in letzter Zeit etwas tiefer in die Flasche geschaut haben sollte. Said kam näher. Die Ellbogen noch immer aufgestützt, war er nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt. Er war plötzlich unerwartet direkt:
»Ich sage Ihnen, im Fall Massine können Sie weiter kommen als der Kommissar.«
»Wieso?«
»Weil Sie gläubig sind.«
»Auch Luc war gläubiger Christ.«
»Nein. Er hatte sich vom Glauben entfernt. Er war nur noch lau.«
Ich schüttete den Kaffee hinunter und spürte ein Brennen im Magen.
»Worauf willst du hinaus?«
»Auch Larfaoui war tiefgläubig.«
»Na und?«
»Denken Sie an den Abend des Mordes.«
»Der 8. September.«
»Was für ein Wochentag?«
»Keine Ahnung.«
»Ein Samstag. Was macht ein Muslim samstags?«
Ich dachte nach. Ich hatte keine Ahnung, worauf Said hinauswollte. Er fuhr fort:
»Er feiert. Nachdem er freitags eifrig gebetet hat, entspannt sich der wahre Gläubige. Das Fleisch ist schwach, wie man sagt …«
»Willst du damit sagen, dass er an diesem Abend mit jemandem zusammen war?«
»Larfaoui hatte seine kleinen Gewohnheiten. Seine Familie war in Algerien.«
»Hatte er eine Geliebte?«
»Keine Geliebte, Miezen!«
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Larfaoui war gegen 23 Uhr in seinem Haus umgebracht worden. Er war nicht allein. Niemand hatte einen Zeugen
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