Das Herz der Hoelle
Englisch?«
Ich unterdrückte einen Seufzer. Es war noch ein weiter Weg bis zu einer europäischen Polizei.
»Luc hat mindestens drei E-Mails dorthin geschickt, unmittelbar vor dem Selbstmordversuch. Er hat sie gelöscht. Versuch, sie von ihnen zu bekommen.«
»Ich lass mir ’ne Aspirinspritze geben.«
»Und wenn du dir ’ne Infusion legen lässt! Um 12 Uhr hör ich von dir!«
Richtung Grappe d’Or, der großen Brasserie in der Rue Oberkampf, die von zwei Brüdern geführt wird, Said und Momo, die früher meine Spitzel waren. Erstklassige Quellen, die mir hervorragende Informationen über die Branche geliefert hatten. Gerade wollte ich das Blaulicht auf das Autodach setzen, weil ich in einen Stau geraten war, als das Handy läutete.
»Mat? Malaspey.«
»Wo bist du?«
»Ich hab mir einen Numismatiker geschnappt. Er hat die Münze identifiziert.«
»Was hat er gesagt?«
»Das Objekt an sich ist wertlos. Es ist ein billiges Imitat einer Bronzemünze, die Anfang des 13. Jahrhunderts in Venedig gegossen wurde. Ich hab den Namen der Werkstätte, die …«
»Schon gut. Was war ihre Funktion?«
»Nach Aussage dieses Typs war es ein Fetisch, der vor dem Teufel schützen sollte. Die Mönche trugen diese Münze immer bei sich. Sie hatten schreckliche Angst vor dem Teufel, und diese Münze schützte sie. Die Mönche hatten eine echte Angstneurose, die Lebensgeschichte des heiligen Antonius ließ ihnen keine Ruhe …«
»Ist bekannt. Hast du herausgefunden, woher das Imitat stammt?«
»Noch nicht. Der Typ hat mir Hinweise gegeben. Aber das ist so eine Sache ohne …«
»Ruf mich an, wenn du weitergekommen bist.«
In letzter Sekunde fiel mir der Mord an der Juwelierin in Perreux ein.
»Und setz dich mit der Polizei in Créteil in Verbindung. Frag nach, ob sie was Neues über die Roma herausgefunden haben.«
Ich legte auf. Ich hatte also richtig gelegen. Luc hatte einen Talisman eingesteckt, bevor er sich zu ertränken versuchte. Ein Objekt, das nur einen symbolischen Wert besaß und ihn vor Satan schützen sollte. Wie tief zerrissen musste er gewesen sein, wenn er das Leben und zugleich den Tod fürchtete?
Rue Oberkampf. Ich parkte hundert Meter von der Brasserie entfernt. Mir dröhnte der Schädel von dem Verkehrslärm und den Abgasen. Auf leeren Magen zündete ich mir eine weitere Zigarette an. Ich steckte den Kopf durch den Kragen meines Regenmantels und schlüpfte in meine Polizeihaut. Und unter dieser Haut in einer zweiten Haut steckte ein erschöpfter Mann, der eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, gern in Kneipen ging und der schon frühmorgens einen Calvados runterkippen konnte.
10 Uhr. Die Brasserie war noch relativ leer. Ich setzte mich auf einen Hocker am äußersten Ende der Theke. Einige Typen schlürften vor dem Schanktisch ihre Getränke. Etwas weiter weg saßen an einem Tisch Studenten, die hier wohl eine Pause zwischen den Vorlesungen verbrachten. Wirklich nichts los.
Ich entspannte mich. Die kabylischen Brüder hatten die Innenausstattung erneuert. Holzimitat, Kupferimitat, Kunstmarmor: Das einzige Echte war der Geruch von Schnaps und kaltem Zigarettenrauch. Ich atmete vorübergehend noch einen Geruch ein: Bier und Schimmel. Die Klappe zum Weinkeller stand offen. Die Vorräte wurden aufgefüllt.
Momo tauchte am Ende der Theke auf, er trug einen Armvoll Baguettes. Ich beobachtete ihn, ohne mich zu erkennen zu geben. Eine vierschrötige Gestalt im weißen Pullunder, unter einem kraushaarigen Schopf ein grobes Gesicht, dem mächtige Brauen und ein schweres Kinn sein unverwechselbares Aussehen gaben. Er war der brutale und kolossale Schatten seines jungen, schmächtigen Bruders Said, der ein Lüstling war.
Ich hätte nicht sagen können, welcher von beiden der Gefährlichere war, aber beide zusammen waren mit Vorsicht zu genießen. Im Jahr 1996 hatten Kommandos der islamistischen Terrorgruppe GIA ihr Heimatdorf angegriffen. Es ging das Gerücht, die beiden Brüder seien daraufhin in den Maquis gegangen, hätten die Mörder aufgespürt, ihre Anführer kastriert und die anderen dazu gezwungen, ihre Geschlechtsteile zu verzehren. Mit dieser Erinnerung im Kopf sagte ich mir: »Bleib cool.«
Momo erblickte mich:
»Durey!«, sagte er mit einem Lächeln. »Lange nicht gesehen.«
»Krieg ich einen Kaffee?«
Der Kabyle nickte.
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