Das Herz der Kriegerin
anders aussahen.
»Denkst du, das weiß ich nicht? Aber ich kann mich nicht erinnern, dass Gabriels Gott je Rückfragen gestellt hätte. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass dieses Mädchen etwas gehört hat, was unseren Ohren verborgen geblieben ist.«
»Genauso ging es mir auch«, entgegnete Sayd. »Unser Gott antwortet uns nicht durch Worte, sondern durch Bilder. Das Versprechen dieses Mädchens war aber eine Antwort auf eine Frage oder eine Anweisung.«
»Du meinst, sie hat eine Stimme gehört?« David zog die Stirn kraus.
»Möglicherweise«, entgegnete Sayd. »Unser Gott mag weder zu dir noch zu mir sprechen, dennoch wäre es möglich, dass er zu diesem Mädchen spricht.«
Ich sah die beiden verblüfft an, doch dann wurde mir klar, dass der Gott, den sie beide anders benannten und auch auf unterschiedliche Weise anbeteten, eigentlich derselbe war, vor dem Gabriel auch seine Knie gebeugt hatte. Die Sache mit den verschiedenen Glaubensrichtungen war kompliziert, aber daran hatte ich mich innerhalb der vergangenen zweihundert Jahre ja schon gewöhnt.
»Nun, es scheint, als hätten wir die Auserwählte gefunden«, entgegnete David, sichtlich froh darüber, dass unsere Suche anscheinend ein Ende hatte. »Dann lasst uns ins Dorf reiten und herausfinden, wer sie ist.«
»Das halte ich für keine gute Idee«, gab Sayd zurück.
»Du meinst, wir sollten uns nicht in dem Dorf sehen lassen?« Das enttäuschte mich ein wenig, wollte ich doch den tapferen Jacques d’Arc nur zu gern kennenlernen.
»Jedenfalls vorerst nicht. Erst sollten wir das Mädchen beobachten. Was ich eben gesehen habe, stimmt mich hoffnungsvoll, aber ich muss vollkommen sicher sein, dass sie es ist.«
»Du meinst, wir sollen sie beschatten?«, fragte David und schnalzte mit der Zunge. »Das dürfte in diesem kleinen Dorf eine Herausforderung werden.«
»Wir werden uns abwechseln und jeden Tag nach ihr sehen. Wie sie sich verhält, wie sie sich gibt, was sie tut. Meine Vision zeigte mir, dass sie sehr fromm sein soll.«
»Warum der Aufwand?«, entgegnete David. »Wenn sie dem Mädchen ähnelt, das du gesehen hast …«
»Als wir den Katharern beistehen sollten, war auch die Großmutter gemeint und nicht die Enkelin. Diesmal müssen wir sicher sein, denn die Mission des Mädchens ist überaus gefährlich. Nur ihr wird es gelingen, den Krieg zu beenden.«
»Dann sollten wir uns beeilen.« Ich deutete über meine Schulter. »Vielleicht treibt sie die Tiere gleich wieder in den Stall. Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren, sonst wissen wir nicht, durch welche Fenster wir spähen müssen.«
Am Abend postierten wir uns in der Nähe des Hauses, in dem wir sie hatten verschwinden sehen. Es handelte sich um ein Bauerngehöft, dessen Wohnhaus mehr als ungewöhnlich war. Fast wirkte es wie ein geteiltes Kirchenschiff, das mit Schindeln gedeckte Dach fiel schräg zu einer Seite ab. Die Wände waren weiß getüncht, Butzenfenster waren darin eingelassen. Man sah bereits von Weitem, dass der Besitzer zu den wohlhabenderen Bauern der Gegend gehörte.
Wie groß war meine Überraschung, als wir eher durch Zufall erfuhren, dass es sich um das Haus von Jacques d’Arc handelte! Kurz nachdem wir einen der mächtigen Bäume vor dem Haus erklommen hatten, hatte ein Fuhrwerk haltgemacht. Der Besucher, ein Holzfäller, der für die Familie Brennholz geschlagen hatte, begrüßte den Hausherrn mit »Monsieur d’Arc«, was ich kaum glauben konnte. Unsere vielversprechende Anwärterin war die Tochter des Mannes, der die Söldner vom Plündern abgehalten hatte.
Mittlerweile waren wir vom Baum wieder herunter, die mondlose Nacht verbarg uns. Hin und wieder schlug ein Hund an, aber aufgrund unseres fehlenden Körpergeruchs war es unwahrscheinlich, dass er uns wittern konnte. Wahrscheinlich hörte er nur die Mäuse auf dem Speicher niesen.
Unsere Pferde hatten wir am Waldrand gelassen, dort, wo wir auch unser Lager aufschlagen würden, bis Sayd Gewissheit hatte.
Für mich war klar, dass wir unser Mädchen gefunden hatten – auch wenn ich meinen eigenen Göttern nach wie vor die Treue hielt, wusste ich mittlerweile genug über das Christentum, um zu erkennen, welcher Christ fromm war und welcher nicht.
Aber Sayd verlangte nach weiteren Beweisen.
Also spähten wir durch die Ritzen der Fensterläden in die Küche, in der Hoffnung, dass uns niemand bemerkte.
An der langen Tafel saßen neben dem Vater und der Mutter wie die Orgelpfeifen insgesamt fünf
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