Das Herz der Kriegerin
»Nach dem, was ich bisher mitbekommen habe, könntet ihr Schwestern sein.«
Das freute mich einerseits, andererseits bedauerte ich, dass er nicht mehr von mir wusste, als das, was der erste Eindruck verriet.
»Du wirst sehen, dass wir sehr verschieden sind«, antwortete ich. »Wenn du dich wieder an mich erinnerst, wirst du es wissen.«
Damit nahm ich ihn bei der Hand und zog ihn mit mir zu der Treppe, die vom Wehrgang wieder hinunterführte. An unserem Lager trennten sich unsere Wege – wo sie früher doch in ein und dasselbe Zelt geführt hatten. Aber ich musste ihm Zeit geben. Hatten wir nicht alle Zeit der Welt?
30
D ie Nachricht vom Erfolg unserer Mission verbreitete sich wie ein Lauffeuer. So erschienen schon bald Männer aus den umliegenden Dörfern, die sich Jeannes Heer anschließen wollten, selbst Räuber, in der Hoffnung, dass ihnen ihre Sünden vergeben würden. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir ein Heer zusammen, das durchaus bereit war, erneut gegen die Engländer anzutreten. Mit diesen Gefolgsleuten eilten wir schließlich nach Reims zur Salbung des rechtmäßigen Königs. Die Zeremonie war langwierig und auch ein wenig langweilig, doch um Jeannes Willen blieben wir alle dort und sahen es uns an.
Natürlich war nicht sie diejenige, die dem König die Krone aufs Haupt setzen durfte. Es war Tradition, dass es der Bischof der Stadt tat. Doch das Volk verehrte Jeanne selbst wie eine Königin, und so bestand Charles darauf, dass sie hinter ihm ging, als er die Kirche betrat. Außerdem legitimierte sie vor dem Volk seinen Anspruch, denn sie war in ihren Augen eine vom Himmel Gesandte, die Gottes Willen vollstreckte.
Während der Bischof den jungen König salbte und ihm dann die Krone aufs Haupt setzte, wanderte mein Blick immer wieder zu Gabriel. Meine alten Gefühle und mein schlechtes Gewissen stritten ganz furchtbar miteinander. Zum einen liebte ich Gabriel noch immer, ich war überglücklich, ihn am Leben zu sehen. Zum anderen trug ich tiefe Trauer in meinem Herzen, denn ich hatte meinen Geliebten nur zur Hälfte wiederbekommen. Und wo ich schon bei meinem Herzen war, ich spürte deutlich, dass die andere Hälfte Sayd gehörte, und das schon seit langem. Was sollte ich tun?
Zeit zum Nachdenken hatte ich genug. Die nächste Schlacht ließ auf sich warten: Der König zögerte, Jeanne nach Paris ziehen zu lassen.
Als er es schließlich doch tat, stand die Schlacht unter einem denkbar ungünstigen Stern. Die Kampfmoral unserer Leute war nach wie vor hoch, jeder hätte sein Leben für die Jungfrau gegeben. Doch an jenem Morgen hing ein tiefgrauer Himmel über dem Feld und nirgends war ein Vogel zu hören. Nicht einmal die Krähen kreisten, als hätten sie Angst vor einem weitaus größeren Räuber – sichere Anzeichen, dass Aisha irgendwo auf den Angriff lauerte.
Inzwischen musste sie mitbekommen haben, dass wir mit unserer Jungfrau die Engländer das Fürchten lehrten – es war klar, dass sie sich bei dem nächsten Ausfall einmischen und versuchen würde, an Blut und neue Soldaten zu kommen.
Da es zu Jeanne kaum noch ein Durchkommen gab, schwor Sayd die Bruderschaft der Sephira auf den Kampf ein – besonders jene unter uns, die bisher noch nicht in diesem Krieg gefochten hatten. Gabriels Blick lag unterdessen unentwegt auf mir, wirkte aber eher interessiert und fragend als liebevoll.
»Wir werden den Dschinn zeigen, was es heißt, gegen Lamien anzutreten«, drohte Jared zornig.
»Und ich werde versuchen, Aisha zu erwischen, damit dieser Albtraum endlich ein Ende hat«, sagte ich, denn das war schon vor Jahren mein Ziel gewesen. Sayd warf mir einen Blick zu, aber er redete mir mein Vorhaben nicht aus.
»Vergesst nie, bei allem, was ihr tut, auf das Mädchen zu achten. Es kann sein, dass die Burgunder versuchen werden, ihrer habhaft zu werden. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.« So nachdrücklich, wie er das sagte, vermutete ich, dass diese Bedrohung Teil seiner Vision gewesen war.
»Sie kriegen Jeanne nur über meine Leiche«, schwor ich finster und blickte dann gen Himmel. Noch war nichts von Aisha Qandisha zu sehen, dafür ertönte in der Ferne Kampfgeschrei.
Während die Truppen aufeinanderprallten und die Luft bald von Pfeilen und Bolzen gespickt war, tauchte die schwarze Wolke auf. Die Kämpfenden bemerkten sie nicht, aber wir sahen sie nur zu deutlich.
»Los geht’s«, murmelte Sayd. »Und dass ihr mir alle am Leben bleibt.«
»Das werden wir, verlass dich drauf!«,
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